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Die Gefährtin des Medicus

Die Gefährtin des Medicus

Titel: Die Gefährtin des Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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Regung fiel noch langsamer aus als alle anderen.
    »Man tut das, was man tun muss, und man nimmt auf der Welt jenen Platz ein, den der Allmächtige einem zuweist«, sagte er gedehnt.
    Sie schwiegen. Akil machte weder Anstalten, endlich zu essen noch weiterzureden. Alaïs trank hastig vom Wein.
    »Und nun … Was wird nun geschehen?«, fragte sie, um stammelnd fortzufahren: »Pio Navale … Er ist ein Florentiner … der Bruder eines Händlers … Er will die Welt erforschen und eine grüne Insel finden, die hinter dem Horizont liegt. Seinetwegen sind wir hier. Er … er sollte wissen … Aureis Bein …«
    Sie schluckte. Ihre Worte klangen in den eigenen Ohren wirr, wie sollten Akil und Sancho sie verstehen?
    »Wo ist er jetzt, dieser Navale?«, fragte Sancho.
    »Noch in der Ciutat – und dort gewiss in Sorge um uns.«
    Plötzlich hatte sie das Gefühl, nicht einen Augenblick länger ruhig sitzen zu können. Sie glaubte mittlerweile, dass von Akil tatsächlich keine Gefahr drohte. Doch nun war es nicht mehr die drohende Gefangenschaft, die sie panisch stimmte, sondern ein anderer Gedanke: Was würde mit ihnen geschehen, wenn Pio ohne sie abreiste? Und selbst wenn sie wieder mit ihm zusammenkämen – unmöglich konnte Aurel in seinem Zustand eine weite Reise antreten!
    Sancho entging ihre Unruhe nicht. »Wir werden euch helfen«, meinte er.
    Alaïs rang mit sich, ihre ängste zu benennen. »Aurel«, setzte sie schließlich an. »Aurel kann nicht von hier fort. Erst muss die Wunde heilen. Erst …«
    Sie brach ab. Erst muss sich herausstellen, ob er überhaupt überlebt.
    »Wir werden vorerst hierbleiben«, schaltete sich Akil wieder ein. »Der Wind steht nicht günstig. Es wird eine Weile dauern, bis er uns fortträgt.«
    »Eigentlich wollten wir nach Granada«, fügte Sancho hinzu. »Aber auf dem Weg dorthin kann ich euch nach Barcelona bringen, wo wir auch häufig Handel treiben. Nur für den Fall, dass jener Navale ohne euch abreist.«
    Der Name der fremden Stadt klang wenig verheißungsvoll, doch sie fühlte sich zu erschöpft, um die Gedanken an die Zukunft zu vertiefen.
    Noch einmal hob Akil den Blick, streifte Alaïs’ Antlitz, und plötzlich leuchtete in seinem dunklen, verschlossenen Gesicht etwas auf – ein Hauch von Jugend und Abenteuer, ebenso lebendig wie schmerzlich.
    Da erst fiel Alaïs ein, dass sie ihm nicht gesagt hatte, dass Caterina tot war und mit ihr die Erinnerungen an jene früherenZeiten, die sie ihrer Tochter stets verschwiegen hatte. Doch nun, da er sie auf diese Weise angeblickt hatte, sie die Wärme, die Freundschaft förmlich spüren konnte, die er für ihre Mutter gehegt hatte, wollte, ja, konnte sie es nicht mehr tun.
     
    Aurel schlief, als sie zum Haus zurückkehrte. Für eine Weile blieb sie an der Tür stehen, erschlagen von dem Gestank. Die Oliven, die sie gegessen hatte, schmeckten plötzlich bitter, das Hammelfleisch verdorben, der Wein brannte.
    Sie schlug die Hand vor den Mund und entschied, lieber im Freien zu schlafen als das Haus zu betreten. Doch was sie schließlich ihre Meinung ändern ließ, war nicht die Sorge um Aurel, sondern weil ihr plötzlich einfiel, dass sie nicht wusste, wo sein abgeschnittenes Bein verblieben war. Sie hatte sich nicht darum geschert, konnte sich auch nicht erinnern, dass Sancho es getan hätte, wusste nur, dass sie die Fäulnis nicht ertragen würde, die es verströmen würde, wäre es noch in der Nähe.
    Widerwillig trat sie über die Schwelle und blickte sich suchend in dem niedrigen, karg ausgestatteten Raum um. Und der Gedanke daran, was sie hier trieb, war so aberwitzig, so erschreckend, so komisch zugleich, dass sie sich nicht entscheiden konnte, ob sie lachen oder weinen oder sich übergeben sollte.
    Plötzlich hörte sie ein Stöhnen, gequält und tief, und nun erst wagte sie auf Aurel zu blicken, sich zu ihm zu knien und ihn im fahlen Mondschein zu betrachten. Kurz blieb ihr Blick am verbundenen Stumpf hängen, wo sich gelbliche Nässe ausbreitete, doch rasch glitt er zu seinem Gesicht zurück, auf dem sich der Schweiß zu einer weißen, brüchigen Schicht verkrustet hatte. Die schulterlangen, verklebten Haare fielen nach hinten. Das Weiche, das sie seinem Gesicht gaben, wenn sie es umspielten, war nicht mehr zu erahnen, nur eckige, hagere, ausgezehrte Züge. Seine geschlossenen Augen wirkten wie schwarze Löcher, ähnlich wie damals bei Louises Leichnam.
    Nun glich er selbst einem solchen, war bis auf sein Stöhnen reglos, ihr und

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