Die Gefährtin des Medicus
schlimmer sein konnte, als ihn so zu sehen und ihm weitere Schmerzen zuzufügen.
Doch ehe sie der Ekel vollkommen übermannte, polterte eshinter ihr. Schritte kamen näher, sie gehörten dem dunklen Mann, der sie mit blitzenden Zähnen ausgelacht hatte. Nun lachte er nicht, sondern sah zuerst auf den Verwundeten, dann auf sie.
Sie presste den Mund zusammen, auf dass ihre Zähne nicht länger klapperten.
Nachdenklich kaute der Mann auf seiner Lippe. »Wie’s ausschaut, brauchst du mehr als nur Leinen und Wein.«
Aläis erkannte, dass er einen weiteren Schlauch Wein in der Hand hielt.
»Feuer«, stammelte sie, »ich brauche Feuer, um die Geräte zum Kauterisieren heiß zu machen.« Weder sie noch Aurel hatten eben daran gedacht.
»Wir sollten ihn vom Schiff wegbringen … in eines der Häuser«, meinte der Mann.
Aläis hatte keine Ahnung, welche Häuser er meinte, aber das zählte nicht in diesem Augenblick.
Fragend blickte sie Aurel an, doch seine Augen waren wieder verschlossen, er hatte die Worte des Mannes nicht gehört, vielleicht hatte er ihn nicht einmal kommen sehen. Es lag an ihr allein zu entscheiden, was zu tun war.
Aläis nickte dem Fremden zu. »Hilf mir!«, brach es aus ihr hervor. »Bitte hilf mir. Ich schaff s nicht allein.«
Er reagierte sofort, klatschte laut, um ein paar andere Männer herbeizurufen. Noch ehe sie kamen, hatte sie sich dem Unvermeidlichen gefügt. »Wenn wir ihn erst einmal vom Schiff geschafft haben … dann muss … dann werde ich ihm das Bein abschneiden.«
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XXXII. Kapitel
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Später saß sie im Freien, den Kopf zwischen den Knien verborgen, die Hände um die Beine geschlungen. Sie war zu kraftlos, um sich dafür zu interessieren, wo sie war, wie sie hierher gekommen war, warum die Häuser in dieser Bucht leer standen. Sie wusste nur, dass fremde Männer Aurel in eines geschafft hatten, ehe sie ihm dort das Bein abgeschnitten hatte.
Sie strich über die eigenen Gliedmaßen, als müsste sie sich vergewissern, dass sie sie noch besaß, dass sie sie nicht verloren hatte wie Aurel, gleich so, als wäre eine Amputation keine Operation, sondern eine ansteckende Krankheit. Nicht nur ihren Körper drohte sie zu befallen, sondern vor allem ihre Gedanken. Ständig spulte sie aufs Neue herunter, welche Anweisungen Aurel ihr gegeben hatte. Sie hatte sie Schritt für Schritt befolgt, immer nur darauf geachtet, was als Nächstes folgte, sich nicht vergewissert, ob sie es richtig machte.
Aurel hatte es ihr nicht sagen können. Als sie festen Boden erreicht hatten, war er kurz zu sich gekommen, doch als sie mit dem Messer tief in sein Fleisch gedrungen war, hatte er zuerst geschrien, wie sie nie einen Menschen hatte schreien hören, dann war er wieder in Ohnmacht versunken. Ohne Zweifel war das ein Segen – und nun, da es vorüber war, war es auch ihr, als erwachte sie aus tiefster Schwärze. Einzelne Erinnerungen durchzuckten sie wie Blitze.
Ja, sie hatte das Fleisch durchschnitten, genäht und ausgebrannt, hatte, wo das Blut hervorspritzte, den Knochen durchsägt und schließlich den Hautlappen darübergezogen und festgesteckt. Mehr wusste sie nicht mehr, nicht einmal, ob Aurel überlebt hatte. Als die Prozedur vorüber war, war sie aufgestanden und ins Freie gelaufen, ohne sich noch einmal über sein Gesicht zu beugen und zu prüfen, ob er noch atmete, ob sein Herz noch pochte.
Nun, da sie hier saß und darüber nachdachte, war sie sich zunächst sicher, dass kein Mensch ihre Stümperhaftigkeit überstehen konnte. Dann freilich war sie sich nicht sicher, ob sie sich überhaupt als stümperhaft erwiesen hatte. Vielleicht hatte sie alles richtig gemacht. Zumindest ihre Hände hatten nicht gezittert – nicht wie vor der Operation und nicht wie jetzt.
Noch heftiger zuckten sie, als sich ein Schatten über sie senkte. Sie sah nicht hoch, nicht in sein Gesicht und wusste doch, dass der dunkle Mann da war – so wie er die ganze Zeit da gewesen war. An die Wohltat, nicht allein dem Grauen ausgeliefert zu sein, erinnerte sie sich gut, nicht aber daran, was der Mann getan hatte.
Hatte er Aurel nur gehalten, oder hatte er mit an dem Knochen gesägt? Hatte er dem Bein nur Halt gegeben, oder hatte er manchen Blutfluss durch eigenes Zufassen gestillt?
Er ließ sich neben sie fallen, jedoch nicht schwer und erschöpft. Er vergrub seinen Kopf auch nicht zwischen den Knien, sondern stützte sich lediglich auf die Ellbogen auf und starrte in den Himmel, um sich an dessen sauberem
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