Die Gefährtin des Medicus
ihm zusetzen konnte, weder Hunger noch Müdigkeit.
»Ich suche Wasser!«, erklärte sie forsch und irgendwie trotzig.
Er antwortete nicht, wahrscheinlich hatte er sie nicht einmal gehört.
Als sie zurückkehrte, fühlte sie sich etwas frischer. Der Bach, der zwischen zwei Feldern sprudelte, war zwar dünn und lehmig und sein Wasser schmeckte salzig wie das Meer. Dennoch hatte sie getrunken, bis sie kaum mehr atmen konnte, und ihr Gesicht ganz tief hineingesteckt, bis ihr nicht mehr heiß war. Nun bröckelten sandige Krusten davon ab.
Aurel blickte immer noch nicht hoch, doch nun wurde auch ohne erklärende Worte offenbar, woran er sich abrackerte. Er hatte das Stück Holz auf die Größe seines fehlenden Unterschenkels zurechtgeschnitzt und suchte nun das geeignete Mittel, um das Leder solcherart daran festzumachen, dass er das Holzbein um den Stumpf schnallen konnte.
»Es könnte taugen!«, rief er eifrig, und seine kraftvolle Stimme hatte nichts mit dem Krüppel gemein, der vor kurzem noch heiser beklagt hatte, er könne nie wieder ein
Cyrurgicus
sein. »Ja, es könnte taugen, wenn ich es nur ausreichend erprobe! Ich habe schon früher einen Mann mit dergleichen gehen sehen. Natürlich erkannte man, dass er humpelte. Aber wenn ich erst darin geübt bin … dann … dann kann ich gewiss ohne Schwierigkeiten über Stunden stehen. Und wenn erst Beinkleider darüberfallen – dann sieht man nicht, dass ich verstümmelt bin. Dann kann ich mich auch wieder um Kranke kümmern.«
Seine braunen Augen glänzten. Erstmals seit langem waren sie nicht in tiefen Schlitzen versunken. Mit aller Kraft zog er sich am Baumstamm hoch, in dessen Schatten er gesessen hatte, und versuchte, das Holzbein zu belasten. Es schmerzte ihn sichtbar. Mochte die Wunde auch gut vernarbt sein, gefühllos war sie sicher nicht. Aber er verdrängte den Schmerz und runzelte nur kurz die Stirn, als wäre er nichts weiter als eine lästige Fliege. Vorsichtig verlagerte er das Gewicht und stützte den Stumpf auf dem Holz auf. Etwas schief stand es von seinem Bein weg,und doch wirkte er nicht mehr so hilflos wie eben, da Fremde ihn auf ein Boot und von dort aufs Land hatten tragen müssen. Als er schließlich aufrecht stand, klatschte er begeistert in die Hände.
»Ich wusste doch, dass ich es schaffe!«, rief er. »Wenn ich nur ausreichend Kraft und Mühe darauf verwende, wenn ich …«
»Das ist gut«, unterbrach Alaïs ihn. »Das ist wirklich gut. Aber selbst, wenn das Holzbein nicht taugt … ich kann dir doch helfen. Ich habe es dir versprochen. Bei dir bin ich geblieben, obwohl …«
»Pah!« Nun war er es, der ihr ins Wort fiel. »Pah!« Es klang wie einst, selbstsicher, dreist, ohne eine Spur dieses kleinlauten, missmutigen, müden Dahinsiechens der letzten Wochen. »Am besten ist man dran, wenn man sich auf sich selbst verlassen kann.«
»Aurel …«, setzte sie gedehnt an. Noch klang sie verwirrt, noch brach sich die Wut nicht die Bahn, die in ihr zu brodeln begonnen hatte; nicht eben erst, schon in dem Augenblick, da weder ihre Fragen noch ihr Durst ihn geschert hatten, sondern nur dieses lächerliche Holzbein. Nun gut, das konnte sie ihm noch nachsehen: Sie konnte ihn nicht tragen, besser war’s darum, er lernte, wieder selbst zu laufen. Und was sein Verlangen anging, künftig wieder als
Cyrurgicus
zu arbeiten, so konnte er es ihretwegen gerne tun. So lieb waren ihr Blut und Eiter, Leidende, Verstümmelte und Kranke nie gewiesen, als dass sie sich bestohlen wähnte, beanspruchte er selbiges nun für sich allein. Doch etwas anderes setzte ihr mehr zu.
»Aurel … auf Mallorca hast du von uns beiden geredet … und dass du es ohne mich nicht schaffst! Ich dachte … ich dachte, du würdest es endlich sehen … was ich bin und was ich kann … so viel mehr nämlich als ein gewöhnliches Weib, das irgendwo auf einen tumben Mann wartet und dessen Bälger austrägt. Ich dachte, du würdest mich brauchen … mich … Alaïs …«
»Ach, du kannst mir doch auch helfen!«, rief er leichtfertig. »So wie früher. Als wir durch die Lande zogen. Du hast doch immer dafür gesorgt, dass wir genug zu essen hatten, alle nötigen Arzneien und meist auch ein Dach über dem Kopf, nicht wahr?«
Ihre Züge gefroren. Vielleicht lag es daran, dass ihre Wut so kalt war. Vielleicht, weil der Schlamm des Baches in ihrem Mund trocken wurde. Sie öffnete den Mund, aber ihre Lippen hatten zu wenig Bewegungsspielraum, um ihn anzubrüllen.
Und das wollte
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