Die Gefährtin des Medicus
Furunkel aufgeschnitten, Zähne gezogen, Hämorrhoiden herausgeschnitten. Wenn alle anderen Mittel nicht fruchteten, dann wusste sie, was man bei Herzrasen und Kopfschmerzen und Fieber tun konnte. Ihre Mittel waren begrenzt, nicht selten stand sie machtlos vor dem Tod – und verstand in diesen Augenblicken, woher Aureis Verbissenheit im Kampf gegen diesen rührte. Dulceta hielt sie dennoch für unentbehrlich – und das bläute sie auch jedem anderen ein.
So weit, deswegen auch Alaïs' Freundschaft zu suchen, trieb sie ihre Anerkennung freilich nicht. Dass sie ihr jetzt das Brot anbot, war keine liebenswürdige Geste. Alaïs wusste nur zu gut, was sie stattdessen bekunden wollte: Magst du in einer Sache gut sein, schien Dulceta ihr zu sagen, so bin ich’s in einer anderen.
Alaïs folgte Dulceta durch das Dorf und bekam manch einenBlick zu spüren, der ähnliches bekundete: Sie war nicht verfemt, sie wurde vielmehr geachtet – aber gemocht wurde sie nicht.
Man nahm es hin und zog Nutzen daraus, dass sie an der Seite eines Mannes lebte, der wie eine Frau schuftete, indessen sie Dinge wusste und tat, die Frauen nicht wissen und tun sollten. Aber man fürchtete und scheute sie deswegen.
»Habe Raymonda auch schon einen Laib gebracht«, erklärte Dulceta eben.
Alaïs verbiss sich ein Grinsen, das ebenso bitter wie wehmütig ausgefallen wäre. Dulceta ging gern mit ihr durchs Dorf, um aller Welt zu bekunden, dass sie ein besonderes Anrecht auf die Heilerin hatte. Und ebenso aufdringlich hielt sie Alaïs vor Augen, dass das Band zwischen ihr und Raymonda ein festeres war, als das zur leiblichen Mutter. Ausgesprochen wurde er nie, der Satz, gedacht aber sicher hundert Mal:
Bist mit einer besonderen Gabe beschenkt, Alaïs, aber als Eheweib und Mutter hast du schäbig versagt.
Früher hatte sich Alaïs oft gefragt, woher Dulceta die Dreistigkeit nahm, um Raymonda zu buhlen, sie gar zu behandeln wie eine eigene Tochter. Aufbegehrt hatte sie dagegen freilich nie – und mittlerweile hatte Dulceta alles Recht der Welt auf diese Liebe. Ein Jahrzehnt war es her, seit Raymonda Andriu geheiratet hatte, Dulcetas zweitgeborenen Sohn, ein Dummkopf, wie Alaïs befand, der von der Mutter die Lust am Reden geerbt hatte.
Sein Geschwätz war harmlos, seine Stimme nicht ganz so krächzend und anstrengend, und dennoch begriff Alaïs nicht, was die nüchterne, wortkarge Raymonda an ihm fand. Eigentlich mied sie die Menschen. Als sie ein Kind gewesen war, hatte nur der Vater sie berühren, sie kleiden, sie kämmen dürfen, aber ausgerechnet an Andriu schien sie sich nie zu stören, im Gegenteil. Schon als sie klein gewesen waren, hatte Alais sie dabei beobachtet, wie sie dem Jungen stundenlang zugehört und immer wieder aufmunternd zugenickt hatte. Andriu schien um diese Zustimmung regelrecht geheischt zu haben. Redend hatte er immer wieder den Kopf gehoben, um ihren Blick zu suchen. Alaïs warsich sicher gewesen: Wenn Raymonda irgendwann nicht mehr genickt, sondern den Kopf geschüttelt hätte, wäre Andriu sofort vor Schreck verstummt, um nie wieder ein vernünftiges Wort zustande zu bringen. Doch Raymonda hatte nie den Kopf geschüttelt. Raymonda nickte noch immer, wenn Andriu sprach.
Eben hatten sie Dulcetas Heim erreicht.
»Komm herein! Komm herein!«, forderte sie Alaïs auf.
Alaïs fügte sich ungern, hatte eigentlich gehofft, leichter an den Brotlaib zu kommen. Doch offenbar musste sie dafür nicht nur Dulcetas Geschwätz, sondern auch deren Gastfreundschaft ertragen. Dunkel und rauchig war es im Inneren, und ein grässlicher Gestank schwappte ihr entgegen.
Der dahinsiechende Leib von Dulcetas Mutter Régine verströmte ihn. Sei Jahren erwartete jeder, dass sie bald sterben würde, doch Winter für Winter kam und ging, und es gab die Alte immer noch.
Als Alaïs eintrat, hob Régine den Kopf, sagte aber kein Wort des Grußes. Vielleicht, weil sie in der letzten Zeit keine Menschen mehr erkannte und sich endlich von der Welt zu lösen begann, vielleicht aber, weil sie Alaïs jenen Streit nicht verzeihen konnte, der vor fünf Jahren zwischen den Frauen ausgebrochen war. Ein Streit war es eigentlich nur in Régines Augen gewesen. Alaïs war es gleich, was Régine ihr vorwarf, sie hatte sich auf deren zänkische Worte gar nicht erst eingelassen – und sie damit erst recht verärgert.
Unscharf erinnerte sie sich daran, dass es um ein Schwein gegangen war. Es war Sitte in Saint – Marthe, dass sich mehrere Familien eines
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