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Die Gefährtin des Medicus

Die Gefährtin des Medicus

Titel: Die Gefährtin des Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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und dann – zu ihrer aller Verblüffung – noch ein zweites. Eigentlich hatten sie nur mehr den Mutterkuchen erwartet.
    »Gütiger Himmel!«, stieß eine der Frauen aus. »Zwei Kinder auf einmal, das bringt Unglück! Das ist das Wirken des Teufels!«
    »Unsinn!«, fuhr Alaïs sie rüde an. »Manchmal sind es eben zwei Kindlein, die sich im Leib der Frau einnisten, wenn sie bei ihrem Mann liegt. Es ist ein besonderer Segen!«
    Sie sagte es nicht nur, sie fühlte es auch. Als sie da bei Raymonda saß und jede von ihnen eines hielt – Raymonda das Knäb – lein, Alaïs das Mädchen –, da ging ihr auf, wie es zwischen ihnen hätte sein können. Vielleicht war sie nicht zur überbordenden Mutterliebe fähig, vielleicht fühlte sie nicht die Selbstverständlichkeit, sich für das Kleine bedingungslos aufzuopfern. Aber eine verständige Freundin, das könnte sie sein. Eine, die sich zur Tochter bekannte, so wie ihre eigenen Eltern Ray und Caterina sich stets zu ihr bekannt hatten.
    Doch dann entschied Raymonda, wie die Kinder zu heißen hatten, und jener Augenblick der Nähe war vorüber.
    Régine und Gaspard.
    »Mit Régine triffst du mich, weil ich die Alte niemals mochte, aber sei’s drum, damit kann ich leben«, hatte Alaïs gesagt. »Doch mit Gaspard triffst du deinen Großvater. In den Geschichten, die er dir früher erzählte, war ein gewisser Gaspare doch stets ein finsterer Pirat, den er nicht mochte.«
    Kurz huschte eine Erinnerung durch Alaïs' Kopf. An Sancho dachte sie, den Ziehsohn von jenem Gaspare, über den sie Raynicht mehr hatte befragen können, als sie seinerzeit von der Irrfahrt wiedergekehrt war.
    »Genauso ist es«, gab Raymonda da schon zurück.
»Er
hat mir die Geschichten erzählst. Du warst entweder nicht da oder hattest keine Lust dazu.«
    Raymondas Bitterkeit gegen sie währte also über die Geburt der Enkel hinaus, doch sie schwappte nicht auf die Nachkommenschaft über. Nachdem aus den schreienden Säuglingen pausbäckige Kinder geworden waren, stellte sich heraus, dass sie an Alaïs hingen und dass diese sie wiederum zum eigenen Erstaunen mochte. Es ging ihr wie allen alten Menschen, die über das Quengelnde, Launische, Ungebärdige hinwegzusehen vermögen und für die einzig die Fülle, die Frische, die Unbeflecktheit des jungen Lebens zählt, das dem eigenen Mangel spottet.
     
    Gleichwohl zur gleichen Stunde aus dem Mutterleib geschlüpft, ähnelten die Kinder einander nicht.
    Gaspard, blond und blauäugig, griff nun doch nach ihrer Hand, presste sich an den Leib und senkte seinen Blick. Fast immer tat er das, er mochte so gar nicht in die große, weite Welt schauen. Manchmal dachte Alaïs, er sei schüchtern, dann wieder, er sei misstrauisch, und schließlich, er sei unnahbar. Zwar durfte man ihn halten und liebkosen, doch nur, wenn er es gestattete. Was in seinem Köpfchen hinter der oft ernsthaft gerunzelten Stirn vorging, das verriet er keinem.
    Die kleine Régine hingegen war mit nackten Beinchen vorausgelaufen. »Komm! Komm schnell, Großmutter!«, rief sie wieder aufgeregt.
    Alaïs lächelte. Régine, gleichwohl auf den Namen einer alten Feindin getauft, war ihr wie ein eigenes Kind – mochte Raymonda es auch geboren haben. Nie stand sie still. Sie hüpfte herum, mit glühenden Augen und dunklem, gekräuseltem Haar.
    Einen Sack Flöhe zu hüten sei leichter als dieses Mädchen, stöhnte Raymonda oft. Irgendwann hatte sie sich offenbar entschieden, es gar nicht mehr zu versuchen, sondern es dem Mädchen selbst zu überlassen, wie es den Tag bestimmte. Die anderen Frauen sahen das nicht gern. Selbst die ruhige Catherine meinte, dass Régine der Führung bedurfte, jener Zucht schließlich, die sie an die Arbeit der Frauen heranführen würde.
    Doch Raymonda erwies sich als zu störrisch, sich dem Willen der anderen Frauen zu unterwerfen, und Andriu war damit zufrieden, dass Régine gerne und viel aß. Obwohl Alaïs oft die Augen verdrehte, war sie ihm dankbar, dass er ihrer Enkelin doch sämtliche Freiheiten gönnte.
    »Großmutter, schnell!«
    Auch Gaspard beschleunigte nun den Schritt, was selten genug vorkam. Alaïs schmerzten die Knochen, als sie ihnen folgte.
    Ich werde alt, dachte sie, viel zu alt. Das fünfundvierzigste Jahr, das sie früher immer als Grenze zum Greisentum betrachtet hatte, war lange erreicht, und obwohl sie keinen Buckel hatte, die Furchen im Gesicht sich nicht sonderlich tief eingruben und zwischen den grauen Haaren immer noch schwarze zu finden

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