Die Gefährtin des Medicus
gemeinsam hielten, abwechselnd dafür sorgten, dass es mit Kastanien gemästet wurde, und es schließlich Anfang Dezember schlachteten, um das Fleisch aufzuteilen. Worüber sich Régine nun genau geärgert hatte – entweder, dass Alaïs das Schwein nicht ausreichend gefüttert habe oder aber, dass sie später zu viel Fleisch beanspruchte –, wusste Alaïs allerdings nicht mehr. Schweine waren schließlich nicht ihre Sache.
Immer noch war es allein Emy, der ihren Haushalt führte, derkochte, Wasser holte, Holz hackte. In den ersten Jahren hatte sie den Eindruck gehabt, er wolle ganz allein für Raymonda sorgen und ihr keine Tätigkeit gönnen, die es ihr erlaubt hätte, sich als Mutter zu fühlen. Doch auch nachdem Raymonda geheiratet hatte, blieb die Haushaltsführung in seinen Händen. Alaïs fragte sich oft, ob er ihr nicht längst die Tür gewiesen hätte, wäre es nicht das Haus ihrer Eltern gewesen und hätte sie nicht mehr, weit ältere Rechte gehabt, in Saint – Marthe zu leben als er.
Freilich, ein böses Wort gegen sie war nie über seine Lippen gekommen. Kein weiteres Mal hatte er sie schmerzhaft gepackt wie an dem Tag, da sie zurückgekehrt war. Sie bot ihm keinen Anlass dazu und nannte ihn – wie er es gefordert hatte – nie wieder Emy. Manchmal buhlte sie insgeheim um Freundlichkeiten – um am Ende zwar höflich behandelt zu werden, inniglich jedoch nie. Er lächelte sie an, doch seine Augen blieben kalt. Er antwortete auf ihre Fragen, doch bekannte sich dabei nie zu seinen Gefühlen. Er lobte sie für ihre Arbeit und half ihr, wo es nötig war – aber sein Stolz ging nicht über jenen Respekt hinaus, den ihr auch die anderen Dorfbewohner entgegenbrachten.
»Denkst du das auch?«, fragte Dulceta unvermittelt.
Alaïs blickte hoch. Es war ihr entgangen, dass die andere fortwährend auf sie eingeredet hatte.
Rasch nickte sie – für Dulceta die Aufforderung, sogleich fortzufahren.
»In Marseille geht ein Fieber um und rafft die Leute reihenweise dahin. Das hat mir gestern Estela erzählt, und Estela weiß es von Ursannes Tochter. Ich glaube ja nicht, dass die Menschen am Fieber sterben, sondern vielmehr, weil sie vom Hunger geschwächt sind. Ich sag’s dir: Wenn der nächste Winter so hart wird wie der letzte, ich könnt’s nicht ertragen. Aber zuvor, du meine Güte, kommt noch der Sommer, und wenn es wieder ständig regnet, so Gnade uns Gott! Ich frage dich: Seit wann ist es so feucht und kalt in unserem Land?«
Alaïs zuckte die Schultern. Ohne Zweifel hatte Dulceta recht. Das Leben heute war so viel beschwerlicher, so viel heimtückischer als in den Tagen ihrer Kindheit. Wenige Jahre erst lag eine schlimme Hungersnot zurück, die nicht alle von Saint – Marthe heil überstanden hatten. Doch was nutzte es, ständig darüber zu klagen?
»Gibst du mir das Brot?«, wagte Alaïs zu fragen.
Dulceta ging nicht darauf ein, sondern schwafelte weiter. Alaïs war so gelangweilt, dass sie sich nur mühsam ein Gähnen verkniff. Es gab Menschen, mit denen zusammen zu sein erträglich war – die Tochter ihres Bruders Raimon zum Beispiel, Catherine, eine tüchtige Frau, die stoisch ihre Kinder aufzog und, selbst wenn Raimon wochenlang unterwegs war, weder unter ihren Lasten einknickte noch damit prahlte.
Dulceta hingegen schien sämtliche Kraft aus ihr herauszusaugen, und in diesem Augenblick haderte Alaïs nicht nur mit dem Umstand, dass sie ihr gefolgt war, sondern vor allem, dass sie ihr gegenüber höflich zu sein hatte. Seit Raymonda Dulcetas Sohn geheiratet hatte, blieb ihr nichts anderes übrig. Zumindest nicht, solange sie um die Gunst der Tochter warb. Nie hatte sie das Trachten aufgegeben. Nie hatte es sich freilich gelohnt.
Anders als Emy hatte sich Raymonda nicht dazu überwinden können, den äußeren Schein zu wahren und dort, wo schon die Liebe fehlte, zumindest ein höfliches Schweigen erwachsen zu lassen. Nein, das anklagende »Geh weg!«, stand fast immer im Raum. Manchmal durch trotzige Stille heraufbeschworen, manchmal durch missmutiges Keifen, das immer dann besonders laut wurde, wenn Emy ein nettes Wort zu viel zu Alaïs sagte.
Früher hatte sie gehofft, Raymonda möge bald heiraten und das Haus verlassen, doch als sie es tat, haderte sie mit deren Wahl. Nicht nur der tumbe geschwätzige Schwiegersohn war schwer zu ertragen, sondern dessen ganze Familie.
Am schwersten aber war es, mit Raymondas stillem Triumph zu leben. Alaïs konnte sich nicht vorstellen, dass sie Andriu
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