Die Gefährtin des Medicus
unter der Sonne verrotteten.
Sie warf einen hilfesuchenden Blick auf Emy. Ihre Augen trafen sich, aber in seinen las sie nicht die Verwirrung über Aureis merkwürdige Worte, sondern eine widersprüchliche Mischung aus Schmerz und Hohn.
Er ist zu dir zurückgekehrt, sagte der Schmerz.
Er ist zu dir zurückgekehrt, sagte der Hohn.
Ohne etwas zu sagen, ging Emeric zur Tür.
»Emy!«, entfuhr es Alaïs. Erst als der Name verklungen war, ging ihr auf, dass sie an Verbotenem gerührt hatte. So durfte sie ihn ja nicht nennen. So hatte ihn einst Aurel genannt.
Doch er strafte sie nicht dafür. »Ich lasse euch allein«, bekundete er, als hätte er weder mit ihr noch mit seinem Bruder etwas zu schaffen und als würden dessen Worte ihn keineswegs beunruhigen. Polternd fiel die Holztüre hinter ihm zu.
Eine Weile schwiegen sie sich an. Worte lagen ihr auf der Zunge, aber ihr Trotz hielt sie zurück. Dieser stellte sich am beharrlichsten heraus. Er vertrieb den Schrecken über Aureis Auftauchen, das Unbehagen, weil Emy einfach gegangen war, den Schmerz über die Erinnerungen, die nicht einfach nur hochstiegen, sondern förmlich auf sie hereinprasselten.
»Was fällt dir ein, hier plötzlich aufzutauchen?«, fragte sie barsch.
Aureis Blick flackerte nicht mehr. Als er sie traf, deuchte er sie nicht länger irrsinnig, sondern einfach nur müde und leer, ein wenig so wie in den Tagen, nachdem sie ihm sein Bein abgeschnitten hatte. Seine Augen waren wie Löcher, in denen erstickt, wer hineinfällt.
»Bist du krank?«, fragte sie und klang sorgenvoller als sie es beabsichtigt hatte. »Bist du deswegen zurückgekommen? Weil du krank bist?«
Er schüttelte den Kopf, erst langsam, dann immer schneller. Zuletzt lachte er.
»Wir werden alle krank werden. Wir werden alle sterben.«
Sie schnaubte unwillig. »Was zum Teufel redest du da?«, zischte sie.
Er scharrte am Boden. An seinen Beinstumpf trug er ein Holzbein gebunden. Sie erinnerte sich an sein Bemühen, es mit einem Ledergurt zu befestigen, an den ärger, den er damals in ihr erzeugt hatte, weil sie darin vor allem das Trachten gesehen hatte, sich von ihr unabhängig zu machen.
»Ich kann nichts tun«, sagte er plötzlich, »ich kann nichts tun, Alaïs, verstehst du nicht? Ich kann nichts tun! All meine Forschungen, alle meine Erfahrungen … Sie nützen nichts. Der Tod ist so viel stärker.«
Seine Stimme klang so erstickt, als würden aufsteigende Tränen sie abwürgen. Nicht selten hatte sie Aurel launisch erlebt, ärgerlich oder zermürbt, vor allem dann, wenn etwas nicht lief, wie er es wollte. Aber sie hatte nie gesehen, dass er weinte.
Sie wich zur Tür zurück, als müsste sie sich vor ihm schützen, sich und die ihren, als würde jedes Wort sie vergiften. Doch es gelang ihr nicht hinauszugehen, so wie Emy es getan hatte. Und Aurel hörte einfach nicht zu reden auf.
»Die Genuesen …«, stammelte er, »die Genuesen sind zuerst gestorben. Als ihre Flotte, die vom Schwarzen Meer kam, in Messina eingetroffen ist, war die Mannschaft tot. Damit begann es. Im Winter schien es kurz, als würde es nachlassen, aber im Frühling hat die Seuche mit aller Wucht wieder zugeschlagen. Ganz gleich, wo ich hinkam. Genua, Florenz, Pisa und Venedig. Und jetzt in Marseille. Jetzt auch in Marseille.«
Er wiederholte den letzten Satz immer wieder, als wäre das von allem das Schrecklichste: dass jene Krankheit auch die Heimat getroffen hatte. Alaïs hatte bis dahin gedacht, einer wie Aurel hätte keine Heimat. Wahrscheinlich hatte er tatsächlich nie eine gewollt – bis jetzt.
»Geh weg!«, stieß sie aus und nutzte nun verspätet die Worte, mit denen einst Raymonda ihre Ablehnung bekundet hatte. »Geh weg!«
Aurel reagierte nicht darauf, und ehe sie den rüden Befehl wiederholen konnte, wurde sie unterbrochen. Die Tür hinter ihr wurde geöffnet, und sie war erleichtert, dachte sie doch, Emy käme zurück. Emy konnte Aureis Worten sicher etwas Brauchbareres entgegensetzen. Er würde nicht laut werden wie sie oder verletzend, aber er würde ihn doch zum Schweigen bringen, da war sie sich gewiss.
Doch als sie herumfuhr, sah sie nicht Emy, sondern Dulceta.
Das Brot, dachte Alaïs, wahrscheinlich will sie mir den Laib Brot bringen …
Als Dulceta zu reden anhub, gewahrte sie freilich deren Aufregung.
»Alaïs! Du musst kommen! Pierre ist zusammengebrochen und will nicht wieder aufstehen. Und er …«
Alaïs starrte sie an, der Hals wurde ihr trocken.
»War er in
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