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Die Gefährtin des Medicus

Die Gefährtin des Medicus

Titel: Die Gefährtin des Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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stammten.
    »Emeric!«, rief sie, als sie die Tür aufstieß. »Emeric, stell dir vor, die Kinder haben …«
    Die Worte erstarben ihr auf den Lippen. Sie hatte jene Stubebetreten, in der sie einst mit den Eltern gelebt hatte, dann mit Vater, Kind und Mann, schließlich nur mehr mit ihrem Mann. Emy stand am Herdfeuer wie so oft, auch wenn sie nicht verstand, wie jemand für die mageren Zutaten so viel Zeit verschwenden konnte. Ihr Appetit hatte im Alter zwar nicht zugenommen wie der von Dulceta, dennoch musste sie oft hungrig vom Tisch aufstehen, weil die Mahlzeiten so karg ausfielen.
    »Emeric, was …«
    Ihre Augen blieben bei der Gestalt hängen, die am Tisch hockte, weiteten sich.
    Die toten Ratten waren nicht das einzig Ungeheuerliche, was dieser Frühlingstag des Jahres 1348 ihr brachte.
    Aurel Autard war nach Saint – Marthe zurückgekehrt.

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XXXVIII. Kapitel
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    Alaïs senkte den Blick. Ein wenig jener kindlichen Hoffnung lag in dieser Geste, die wohl auch der kleine Gaspard hegte, wenn er sich weigerte, die Welt anzublicken: dass nämlich die Welt auch ihn nicht sehen könnte und sich sämtliche trügerischen Gestalten schon auflösen würden, blieben sie nur unbeachtet.
    Doch als sie den Blick wieder hob, saß Aurel immer noch dort. Emy hatte ihm wohl zu essen angeboten, denn vor ihm stand eine Schüssel mit dampfendem Eintopf, der nach Bohnen roch. Obwohl Aurel ihn nicht anrührte, nur dumpf daraufglotzte, stieg in Alaïs unvermittelt ärger über die Gastfreundschaft ihres Mannes hoch. Sie musste sich auf die Lippen beißen, um nicht laut zu höhnen, dass er dem Schwiegersohn Andriu glich, der immer glücklich war, wenn alle zu essen hatten.
    Nun, glücklich sah Emy nicht aus, eher wie erstarrt – und dennoch mochte kein Gefühl stärker sein als sein Pflichtbewusstsein, für andere zu sorgen. Er hatte sie in den letzten Jahren angeschwiegen, hatte ein höfliches Lächeln aufgesetzt, das in Wahrheit eiskalt war – aber nie, nie hatte er ihr die Sorge um das leibliche Wohl vorenthalten. Erstmals dachte Alaïs, dass es vielleicht kein Zufall war, dass sich Raymonda ausgerechnet einen Mann wie Andriu genommen hatte, viel dümmer als sie selbst, aber wie Emy für die schlichte Behaglichkeit stehend, die ein voller Magen schuf.
    Der Ärger erlosch, der Schrecken blieb. Grußlos ging sie an Aurel vorbei, trat zum Herdfeuer und heizte nach, obwohl es lodernd brannte und sie dergleichen nie tat. Emy hütete das Feuer ebenso wie die Vorratskammer.
    Der Rauch stieg ihr heiß und bissig ins Gesicht, sie unterdrückte ein Husten und noch mehr ihre Fragen. Was zum Teufel machte er hier? Warum war er nach Saint – Marthe gekommen?
    Als sie wieder aufstand, lagen ihr Raymondas einstige Worte auf der Zunge: »Geh weg!«
    Doch stattdessen entfuhr ihr ähnlich höflich und ähnlich gleichgültig, wie sich Emy ihr gegenüber meist erwies: »Woher kommst du?«
    Aurel regte sich nicht. Sie betrachtete ihn eingehender, gewahrte, dass sich tiefe Kerben in seine Wangen geschlagen hatten, dass das einst dichte, braune Haar farblos und an den Schläfen dünn geworden war. Sie sah die ledrige Haut, die vielen Mückenstiche und Narben. Endlich hob er den Blick. Seine braunen Augen glänzten nicht, sondern flackerten wie irr hin und her.
    »Aus dem Totenreich«, stammelte er, »ich komme aus dem Totenreich.«
    In Emys Miene rührte sich nichts, doch Alaïs gewahrte, wie sein rechter Fuß unmerklich zu zittern begann. Ob ihn Aureis unsinnige Worte verärgerten? Oder einfach nur die Tatsache, dass er hier saß und überhaupt sprach – mit ihr? Eigentlich hatte sie gar nicht das Gefühl, als würde er mit ihr sprechen. Sie hörte seine Worte nicht. In ihren Ohren zu zerplatzen schienen sie vielmehr, um all das, was in ihrem Kopf wohlgeordnet zurechtgerückt worden war, durcheinanderzuschieben.
    »Was redest du da?«, fauchte Alaïs.
    Der Eintopf war ausgekühlt, ohne dass Aurel auch nur einen Bissen gegessen hatte. Gewiss musste er hungrig sein, so ausgezehrt wie er wirkte. Doch nun fuhr er mit einem Ruck hoch und schob die Schüssel weit von sich. Altvertraut war die Geste, befremdend hingegen klangen seine Worte.
    »Sie sind alle tot«, erklärte er.
    Unbehaglich verkreuzte Alaïs die Arme über ihrer Brust. Sie hatte keine Ahnung, wovon er redete, wusste nur, dass einer, der seinen Verstand so akribisch geschult hatte, selbigen nicht einfach verlieren konnte.
    Die toten Ratten kamen ihr in den Sinn, die hinter dem Friedhof

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