Die Gefährtin des Medicus
folgen willst«, sagte Emy leise, »wenn du ihm folgen willst, dann geh. Ich halte dich ganz gewiss nicht auf.«
»Und ich habe ganz gewiss keine Lust darauf, im Schuppen zu leben«, entgegnete sie hastig.
»Dann ist es ja gut«, murmelte er gleichgültig.
Sie wollte sich auf die Bank sinken lassen, sich ausruhen, vergessen, was sie heute gesehen, gehört und gerochen hatte.
Doch noch ehe sie sich aus ihrer Starre löste, klopfte jemand an ihre Tür.
»Alaïs! Emeric! Seid ihr wach?«
Es war nicht Aurel. Es war ihre Nichte Catherine, die Tochter von Alaïs’ Bruder Felipe.
Emy öffnete die Tür.
»Ich … ich habe gehört, was mit Pierre geschehen ist«, stammelte Catherine. »Alaïs«, sie war den Tränen nahe. »Alaïs, bitte komm. Mein kleiner Felipe fiebert schon seit einigen Stunden.«
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XXXIX. Kapitel
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Gott hatte sich einen stinkenden, schmerzhaften, langsamen Tod ausgedacht, als er die Menschheit mit dieser Seuche schlug.
Felipe – nach seinem Großonkel benannt – war Catherines jüngster Sohn, und er verschied noch am selben Abend. Manche überlebten die Krankheit länger, hielten gar eine ganze Woche durch. Anderen blieben zwei, drei Tage, nachdem die ersten Beulen aufgetreten waren. Doch alle starben sie, unter Schmerzen, im Fieberrausch, mit unerträglichem Durst. Zuerst traf es nur einzelne Familien, nach einigen Tagen hatte fast jede ein Opfer zu beklagen. Die Menschen von Saint – Marthe weinten zunächst um die Toten, dann aus Angst um das eigene Leben und schließlich aus Wut und Ohnmacht, weil nicht abzusehen war, wann das Grauen ein Ende nehmen würde. Nicht nur die Alten, die Geschwächten, die Kinder traf es, wie Alaïs zu Beginn noch erwartet hatte, sondern auch junge Frauen und kräftige Männer, die eben noch mit vollen Netzen vom Meer zurückgekehrt waren, Tiere geschlachtet und Bäume angesetzt hatten.
Wenn sie Pierres Seele auch nicht mehr helfen konnten, so forderte Alaïs doch, dass Pére Galhard aus dem Nachbardorf kommen sollte, um für die Sterbenden zu beten und sie mit heiligem öl zu segnen. Nur solcherart wären sie gestärkt genug, um den Kampf gegen die Dämonen aufzunehmen, die an der Schwelle zum Jenseits harrten und die gefährliche Reise zu Gott als ihre letzte Möglichkeit nutzten, die Seelen ins Verderben zu reißen.
Doch Pére Galhard kam nicht. Zunächst hieß es, es gäbe im Nachbardorf ebenso viele Tote wie in Saint – Marthe, man kämekaum nach, sie zu beerdigen. Schließlich wurde erzählt, Pére Galhard sei – selbst noch gesund – ins Landesinnere geflohen.
»Was für ein Feigling!«, zischte Dulceta. Seit Pierres Tod war sie abgemagert. Um ihre Hüften wogte nicht länger das Fett, sondern faltige Haut. Um ihren Mund hatte sie einen verkniffenen Zug bekommen, der immer tiefer wurde, je mehr Verwandte sie verlor. Nach ihrem Mann den erstgeborenen Sohn, dann dessen Frau, schließlich deren Kinder. Nur die alte Régine, die nicht mehr ganz richtig im Kopf war und Alaïs immer noch vorwarf, sie vor Jahren um ihren Anteil einer geschlachteten Sau betrogen zu haben, lebte weiter.
Alaïs’ Wut der ersten Tage war erloschen. Sie eilte von Krankem zu Krankem, konnte nichts für sie tun und war irgendwann zu müde, damit zu hadern oder Angst zu haben. Nur bei Régines Anblick erwachten alte Lebensgeister in ihr. Wie konnte es sein, dass ausgerechnet der Leib dieser Kröte, die sich schon längst nicht mehr ans Hiesige klammerte, sondern einfach nur träge auf dieser Welt hocken blieb, heil blieb? Warum war es nicht möglich, aus ihr den Lebensodem zu saugen, um ihn einem der verzweifelt Kämpfenden als Stärkung einzuhauchen? Warum biss die Krankheit so ohne Gesetzmäßigkeit, ohne Vorhersehbarkeit zu – wie ein räudiger Köter, der ohne jede Führung durch die Gassen irrte und kläffend ansprang, wen er zufällig als Ersten sah?
Wo sie keine Ordnung sehen konnte, versuchten es andere umso mehr.
Es reiche zu beten, sagte Catherine, obwohl auch sie zwei Kinder verloren hatte. Bei dem einen hatte Alaïs gar nicht erst etwas auszurichten versucht, beim zweiten war ihr Ehrgeiz erwacht. Sie suchte, die Beulen so zu behandeln wie sämtliche andere Geschwüre, ließ sie unter Kräuterpasten reifen und stach sie dann an. Doch auch der junge Raimon war ihr schließlich unter den Händen weggestorben, sie war sich nicht einmal sicher gewesen, ob nicht womöglich peinvoller als sein älterer Bruder, dem diese Prozedur erspart geblieben war.
»Wir
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