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Die Gefährtin des Medicus

Die Gefährtin des Medicus

Titel: Die Gefährtin des Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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reichte das, Aurel fürs Erste mundtot zu machen.
    In diesem Augenblick sah sie in Emy erstmals einen Verbündeten. Bislang hatte sie geglaubt, seine Fürsorge ihr gegenüber träfe sie nur zufällig, weil sie sich nun eben auch in Aureis Gefolge befand. Nun gewahrte sie, dass ihm ihr Wohl wichtig war – und sie beschloss, seine Bereitschaft zur Fürsorge zu ihren Gunsten auszunützen.
    Sie wartete, bis sie mit ihm allein war, um dann zu fragen: »Kannst du mir helfen?«
    »Womit?«
    Sie blickte an sich hinab. Immer noch trug sie jene Kleidung – das Unterkleid, darüber eine Tunika –, in der sie seinerzeit von Frère Lazaire im Schuppen aufgestöbert worden war. Der schreckliche Fußmarsch, da sie gefesselt zur Burg des Comte gezerrt worden waren, hatte ebenso Spuren hinterlassen, wie es die Stunden im feuchten Kerker getan hatten. Und das Umherziehen der letzten Wochen, die Behandlung der Kranken, das häufige Nächtigen im Freien oder in dreckigen Unterkünften hatten noch mehr Flecke und Risse hinzugefügt. »Wir waren niemals reich«, sagte sie. »Aber meine Mutter legte immer Wert darauf, dass wir sauber waren.«
    Sie fuhr sich durchs Haar, dessen Strähnen verfilzt und verklebt waren. Die Flechten, mit denen sie es zu bändigen suchte, hielten meist nicht lange.
    Emy musterte sie, dann ging er, ohne ein Wort zu sagen. Für ein sonderbares Verhalten hätte sie das früher gehalten – nun war sie sicher, dass auf ihn Verlass war und dass sie nicht nachfragen musste, ob er ihr Begehr verstanden hatte.
    Als sie das nächste Dorf verließen, trug er nicht nur frischen Proviant mit sich, sondern auch einen Ballen Leinen. Aurel, der ihn als Erster sah, meinte diesen einem falschen Zweck gewidmet. »So viel Verbände brauche ich nicht.«
    »Soll ja auch kein Verband werden, sondern eine neue Tunika für Alaïs.«
    Aurel runzelte verwirrt die Stirn, als hörte er zum ersten Mal davon, dass Menschen manchmal frische Kleidung brauchten, doch da verlangte Emy auch schon: »Musst uns dafür auch eine deiner Nadeln leihen.«
    Aureis Falten wurden noch tiefer, doch er schlug Emys Bitte nicht ab – so wie er dem Bruder eigentlich kaum entgegenhandelte. Er behandelte ihn nicht freundlicher als einen Dienstboten, sprach nur schroffe Befehle – und fügte sich ihm doch stets, gesetzt, dass dieser den Mund aufmachte und etwas forderte.
    Als sie das nächste Mal rasteten, begann Alaïs an der Tunika zu nähen. So verlockend es gewesen war, die Kunst zu erproben, Wunden zu nähen, so langweilig war es, nun im Stoff herumzusticheln. Viel ungeschickter stellte sie sich an, stach sich mehrmals in den Finger, bis Blut troff und sie laut fluchte. Wortlos setzte sich Emy zu ihr, nahm ihr das Leinen ab und fertigte selbst die Tunika daraus. Alaïs beobachtete ihn zunehmend unbehaglicher aus dem Augenwinkel. War das ein rechter Mann, der sich mit Frauenarbeiten abgab? Rührte das Betragen aus jener Zeit, da die Mutter am Bluthusten gestorben und womöglich kein anderer da gewesen war, der Sorge hätte tragen können für den gestrengen Vater und den jüngeren Bruder? Der hatte wahrscheinlich schon damals lieber Menschenhäute zusammengefügt als Stoff.
    Am Ende zählte freilich einzig das Ergebnis – ein zwar schlichtes, aber sauberes Gewand. Endlich würde sie hübsch wie früher sein! Endlich würde sie sich wieder als das Mädchen fühlen, das Spaß daran hatte, mit offenem Haar zu tanzen! Und konnte Aurel ihr weiterhin Lob schuldig bleiben, wenn er erst bemerkte, wie ansehnlich sie war?
    Sie hatte eingesehen, dass sie es wohl falsch angestellt hatte, als sie nicht nur schweigend und willfährig neben dem Medicus gehockt hatte, sondern obendrein dreckig und verlottert. Sie hatte sich kaum von dem Bruder unterschieden, der auf Dank und Achtung nicht erpicht war. Ja, sie hatte Aurel viel zu wenig bekundet, dass sie anders und besonders war. Weitausweniger schroff und gleichgültig würde er sie behandeln – so begann eine Hoffnung in ihr zu nagen –, wenn sie nicht nur auf den Willen setzte, ihm zu dienen, sondern auf jene Vorzüge, die ein junges Mädchen aufzuweisen hatte: glänzendes Haar nämlich, runde Lippen und eine wohlgeformte, schön gekleidete Gestalt. Er würde sich ihr gegenüber zuvorkommend gebärden, wenn sie erst nichts mehr mit Emy gemein hatte – weder mit dessen dreckiger Kleidung noch mit dessen Unauffälligkeit.
    Ehe sie die neue Tunika anzog, wusch sie sich in einem der Flüsse. Indessen sie mit den

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