Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Gefährtin des Medicus

Die Gefährtin des Medicus

Titel: Die Gefährtin des Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
Vom Netzwerk:
gesehen, war jedoch mit den Warnungen groß geworden, dass man diesen so weit wie möglich fernbleiben sollte. Die von Gott Gegeißelten lebten außerhalb der menschlichen Gemeinschaft, in Höhlen oder Leprosenhäusern, und sie trugen Glöckchen mit sich, um die Gesunden schon von weitem zu warnen. Auf ihrer Wanderschaft hatten sie einige Male derartige Glöckchen gehört und daraufhin die Route geändert – auf Emys Befehl hin, dem Aurel sich widerwillig fügte.Doch von dem, was diese schreckliche Krankheit den Menschen anzutun vermochte, hatte sie bisher nur gehört: Zunächst, so hieß es, begannen einzelne Stellen des Leibes zu nässen, später wurden sie zu gefühllosen Geschwüren. Gliedmaßen starben ab oder wurden – da die Leidenden nicht rechtzeitig vom Schmerz gewarnt wurden – des Nachts im Schlaf von Ratten abgenagt.
    »Gütiger Himmel!«, stieß sie aus und bekreuzigte sich schnell.
    »Keine Angst«, meinte Emy. »Wie es aussieht, ist er gesund. Zwei andere aus seinem Dorf wurden vom Aussatz befallen, nachdem sie von einer Pilgerreise wiederkehrten, und nun lebt er im Wahn, der Fluch würde auch ihn treffen.«
    Alaïs wagte es nun, näherzutreten, den Fremden zu mustern. Seine Gliedmaßen waren tatsächlich allesamt noch heil, seine Gestalt kräftig, sein Gesicht zwar faltig, aber nicht kränklich.
    »Ihr leidet nicht am Aussatz«, bestätigte Aurel da schon Emys Urteil. »Ich habe in Eurem Blut keinen Rückstand von Erde gefunden, was auf ein übermaß von schwarzer Galle schließen ließe. Ihr könnt singen, was kein Lepröser zustande bringt, und Ihr spürt jeden Einstich meiner Nadeln in Eurem Daumen. Beruhigt Euch, geht nach Hause und lebt zufrieden.«
    Mit jedem Wort wurde seine Miene verdrießlicher, seine Stimme klang so vorwurfsvoll wie die von Alaïs. Wohingegen sie mit dem Umstand haderte, von ihm nicht gesehen zu werden, schien er im Stillen zu fluchen, weil er keinen echten Kranken angezogen hatte.
    Der vermeintliche Aussätzige hingegen stieß ein triumphierendes Geheule aus, ließ sich auf den erdigen Boden fallen wie zum Gebet und hob dankbar die Hände gen Himmel. Immer wieder rief er: »Ihr habt mir das Leben gerettet! Ihr habt mir das Leben gerettet!«
    »Ich habe nur festgestellt, dass Ihr nicht aussätzig seid. Das ist ein Unterschied.«
    »O doch!«, bestand der Mann, »Ihr habt mir das Leben gerettet! Es wurden Gerüchte laut, von König Philippe von Frankreich selbst in die Welt gesetzt. Dass nämlich alle Leprösen in Frankreich des Hochverrats schuldig seien, da sie sich mit den Juden, dem Sultan von Babylon und dem muslimischen König von Granada verschworen hätten, die Brunnen des Königreichs zu vernichten. Eines Tages – es ist nicht mehr weit bis dahin – wird ein Lepröser mit dem Tod bestraft werden, das schwöre ich euch.«
    Gleichwohl die aufdringliche Stimme des Mannes in den Ohren schmerzte, konnte sich Alaïs ein schadenfrohes Grinsen nicht verkneifen, als der vermeintliche Leprakranke immer wieder zu neuem Geheule ansetzte und schließlich vor lauter Freude Aureis Beine umfing. Jener zuckte unbehaglich zurück. »Seid Ihr von Sinnen, Mann?«
    »Habt Dank, habt Dank, habt Dank! Ihr habt mir das Leben gerettet!«
    »Das habt Ihr mir nun oft genug gesagt, nun geht!«
    Endlich ließ der andere ihn los, stand wieder auf und ging, nein, lief davon, die Hände mehrmals in die Luft schleudernd, als trügen sie das erste Mal seit vielen Wochen keine Last.
    »Was fällt ihm ein«, murrte Aurel, »sich derart aufzuführen.«
    Sämtlicher Hohn erstarb in Alaïs, und zurück blieb jener nackte Zorn, mit dem sie zuvor im Stillen auf ihn geflucht hat.
    »Ich dachte, einer deiner Zunft wäre für die Menschen da – und nicht die Kranken für ihn!«, fuhr sie ihn an, viel schärfer und verbitterter, als es der Anlass gebot.
    Erstaunt wandte sich Aurel ihr zu. »Was redest du?«
    »Dieser Mann freut sich, weil er sein Leben wieder hat, und du bist enttäuscht, dass er nicht ernsthaft krank ist? Am liebsten wäre dir doch gewesen, er litte am Aussatz und ihm wäre vor deinem Angesicht ein Finger abgefallen, nicht wahr? Dann hättest du dich gebückt, um diesen Finger zu zerstückeln. Vielleicht, Aurel Autard, hättest du zusehen sollen, kein
Cyrurgicus
zu werden, sondern ein Totengräber!«
    Nie hatte sie mit derart schriller Stimme zu ihm gesprochen, nie derart wütend aufgestampft. Doch wie laut sie auch sprach, wie heftig sie sich gebärdete – sie hatte nicht das Gefühl,

Weitere Kostenlose Bücher