Die Gefährtin des Medicus
kostbares Besteck. Aber nun nehmt Platz, kostet von meinen Speisen, und gewiss sehnt sich Eure trockene Kehle nach einem frischen Schluck Wein!«
Alaïs war heilfroh, dass sie nicht länger warten musste, um endlich den hungrigen Magen zu sättigen. Ihre Hände fühlten sich klebrig an, und sie bedauerte, dass bei Navale trotz der übrigen Vornehmheit die Sitte nicht galt, wonach man sich vor dem Mahle zuerst in Zitronenwasser die Hände zu reinigen hatte. Doch als ihr der betörende Duft von krossem Fleisch in die Nase stieg, zählte nur noch die Überlegung, wie sie möglichst viel davon essen konnte, ohne dabei sämtliche Tischsitten zu vernachlässigen, die ihr die Mutter einst eingebläut hatte. Mochte der Hunger auch der stärkste Drang sein, wie eine Bäuerin, die mit bloßen Händen isst, wollte sie doch nicht wirken.
Allerdings, und das stellte sie nach den ersten Bissen fest, achtete ohnehin niemand auf sie. Emy aß leise, ebenso schnell wie sie und mit gesenktem Kopf. Aurel nippte gedankenverloren an dem Weinkelch, den Giacinto ihm gereicht hatte – und der Kaufmann selbst wiederum musterte den
Cyrurgicus
eindringlich. Sein Blick war wohlwollend – und zugleich wachsam.
»Ich habe Euch vorhin genau beobachtet«, meinte er schließlich, »und ich habe schon auf den ersten Blick erkannt, dass Ihr viel von Eurem Handwerk versteht.«
Alaïs vermeinte, dass eine sachte Röte über Aureis Wangen huschte, doch vielleicht kam diese auch von der Hitze, die sich unter den Lederwänden des Zeltes zu stauen begann. »Und Ihr scheint das zu schätzen«, antwortete Aurel hastig.
»Nun ja«, meinte Giacinto. »Die Wahrheit ist, dass ich lieber mit Dingen Handel treibe, die man berühren kann, als mit Fähigkeiten, die man nicht sieht. Wobei: Was Ihr mit dem armen Fausto gemacht habt, konnte man sogar sehr deutlich sehen. Ihr wisst Eure Hände einzusetzen. Mein Bruder wäre beeindruckt.«
»Euer Bruder?«
»Pio Navale«, sagte Giacinto. »Anders als ich verbringt er sein Leben in unserer Heimat – und ist einer der klügsten Männer, die ich kenne. Er beschäftigt sich mit Alchemie, Astrologie und Astronomie. Ich weiß, ich weiß …«, sagte er rasch. Ihm schien nicht entgangen zu sein, dass Aureis Blick, eben noch hellwach, sich etwas verschlossen hatte, da er zwar Wissenschaften benannte, nicht aber die Medizin. »Von dem, was Ihr heute vollbracht habt, hat er wenig Ahnung. Doch könnte er auch nicht mit Verständigkeit in dieser Sache dienen, so doch mit Bewunderung und jeder Menge Neugierde – wie nur ein Mensch des Geistes sie besitzt, dem kluge Köpfe mehr wert sind als alles Geld der Welt.«
Seine Hände lösten sich unauffällig von der Börse und schlugen auf die drallen Oberschenkel. Er lachte kraftvoll. »Ich habe nie dazu gehört, weiß Gott. Mein Vater wusste, warum er mich in seine Fußstapfen treten ließ, nicht aber den träumerischen Pio, der nächtelang in der Bibliothek des heimischen Palazzos lesen kann, jedoch todmüde zusammenbräche, müsste er um Handelsgut feilschen. Wie auch immer …«
Unvermittelt beugte er sich vor. Immer werbender, immer eindringlicher wurde seine Stimme, und jetzt erst wurde Aläis gewahr, dass das, was er zu sagen hatte, nicht Ausdruck von Geschwätzigkeit war, sondern auf ein ganz bestimmtes Anliegen hinauslief.
Gleichzeitig herablassend und bewundernd beschwor er die umfangreiche Bildung und die vielen Talente seines Bruders, ehe er schließlich sagte: »Ich bin ein Mann, der nirgendwo zu Hause ist. Mal ziehe ich hier in der Provence von Ort zu Ort, mal verschlägt es mich in den Norden Frankreichs, dann geht es wieder heim nach Florenz, wo ich so lange dem Leben meines Bruders im behaglichen Palazzo zuschaue, bis es mir wieder einfällt, dass ich dafür nicht gemacht bin – und rasch aufs Neue aufbreche.«
Erstmals beugte er sich vor und schnitt ein großes Stück Fleisch ab. »Dieses Reisen ist schön und abwechslungsvoll und abenteuerlich. Es macht reich und welterfahren – aber zugleich lauern auf den Wegen viele Gefahren, erst heute wurde das wieder offenbar. Gebe Gott, dass der arme Fausto dank Eurer Hilfe überlebt. Ich dachte mir also: Warum schließt sich einer wie Ihr, der doch auch herumzieht, nicht einem wie mir an? Ich würde mich sicherer fühlen, wenn ich mich und die meinen in der Nähe solch kundiger Hände wüsste. Und Ihr müsstet nicht länger auf dem harten Boden schlafen, sondern könntet Euch auf weichen Pelzen
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