Die Gefährtin des Medicus
Saint-Gilles und Pézenas.
»Ich glaube, dort finden regelmäßig die großen Messen statt«, stellte Emy fest.
Sie gingen weiter, sahen schließlich sechs Männer in einem Kreis beisammensitzen. Alaïs konnte nicht genau erkennen, was in der Mitte stand, und beugte sich wissbegierig vor. Prompt sprangen zwei von ihnen mit finsteren Gesichtern hoch und fuchtelten furchterregend mit den Händen; einer zog gar den Dolch.
Alaïs fuhr erschrocken zurück, indes hinter ihnen ein spöttisches Lachen erklang.
Giacinto Navale trat auf sie zu und gab den Männern ein Zeichen, sich zu mäßigen. Nun erkannte Alaïs auch, was diese so streng bewachten: große Säcke, ähnlich der Börse, die Navale an seinem Gürtel trug, und wahrscheinlich randvoll mit Geld gefüllt.
»Sie lassen niemanden zu nahe kommen!«, erklärte er und blickte stolz auf seine Männer. »Das Geld muss streng bewacht werden, ’s ist nämlich nicht meines, sondern das des Papstes.«
Alaïs riss die Augen auf. »Des Papstes?«, entfuhr es ihr erstaunt.
»Abgaben«, sagte Giacinto knapp. »Von den Bischöfen und äbten, aber auch von den kleineren Kanonikern … wobei sie dann nicht so hoch ausfallen.«
Er zuckte die Schultern, als bedauere er, dass nicht von jedem viel zu holen war.
»Aber wie kommt es, dass Ihr als florentinischer Kaufmann …«, setzte Emy an.
Giacintos blitzende Augen maßen ihn nachlässig und irgendwie verächtlich. »Das ist doch ganz einfach!«, rief er aus. »Der Papst, der König von Neapel und der Provence und die Stadt Florenz haben ein enges Bündnis miteinander geschlossen. Der König freilich droht stets, ein wenig zu mächtig zu werden – sodass der Papst im Zweifel lieber unsereinem seine Finanzen anvertraut als diesem.«
Alaïs hatte keine Ahnung, was er meinte, und auch Emy machte keinen sonderlich verständigen Eindruck. Giacintos Bereitschaft, Erklärungen abzugeben, hatte sich freilich erschöpft.
»Lasst uns nicht hier herumstehen. Das Mahl ist bereitet.«
Alaïs erwartete, dass irgendwo ein Lagerfeuer entfacht worden wäre und sie dort Platz nehmen würden. Doch derart ärmliche Gewohnheiten schienen nicht Giacintos Sache zu sein.
Er führte sie zu einem Zelt, das blitzschnell aufgestellt worden war. Den harten Boden hatte man mit Leder, geknüpften Teppichen und – offenbar dort, wo sich die Schlafstatt befinden sollte – mit Pelzen bedeckt. Auch Stühle waren gebracht worden, die sich, wie Alaïs mit Erstaunen feststellte, auf – und später wieder zuklappen ließen. Weiche Polster, gefüllt mit Daunenfedern, machten das Sitzen darauf annehmlich, und eben wurde eine runde Tischplatte, die man behelfsmäßig auf zwei Baumstämme gelegt hatte, gedeckt.
Alaïs lief das Wasser im Mund zusammen, als sie sah, mit welchen Speisen Giacinto Navale aufwartete. Ob er stets so edel aß oder nur, weil er Aurel eingeladen hatte, wusste sie nicht. Sie selbst hatte noch nie in ihrem Leben so fein gegessen. Da gab es krosses Perlhuhn – und Fasanenfleisch, zartrosa gebratenes Lamm in Minzsoße und schneeweißen, grätenlosen Fisch, der im Saft von Zitronen gekocht worden war. Kalbfleisch war in winzig kleine Würfel geschnitten, sodann mit Essig und ebenso kleinen Stücken von Apfel und Granatapfel vermischt worden. Die Krüge waren randvoll gefüllt mit Wein, der zum Teil erfrischend mit Quittensaft verdünnt war. Dick belegt waren weitere Platten mit Ingwerkonfekt und Mandelgebäck.
Doch nicht nur an den Speisen blieb ihr Blick hängen, auch an einer Gabel, wie sie sie zu Hause gebrauchten, nur dass diese hier aus Silber bestand. Das war auch das Erste, was Aurel wahrnahm, als er kurz nach ihnen das Zelt betrat.
»Er ist etwas fiebrig, aber die Haut um die Wunde ist von hellem Rosa«, erstattete er grußlos Bericht. »Nun schläft er und …«
Er brach ab, als er die Gabel sah. So dreist, wie damals, als er sie im Haus von Alaïs’ Eltern einfach hochgehoben hatte, gebär – dete er sich auch jetzt. Unaufgefordert nahm er sie, drehte sie in alle Richtungen und verkündete wie schon damals, dass dergleichen ein brauchbares Instrument sei.
Alaïs sah, wie Emy ihm den Ellbogen in den Leib rammte.
Giacinto Navale hingegen lachte grell und schien die Gier nach Kostbarkeiten nicht als Laster zu werten, sondern als brauchbare Eigenschaft, die seine Sympathie wachsen ließ. »Von einem Goldschmied habe ich sie. Er stellt dergleichen gewöhnlich nur für den Papst her. Doch wer etwas auf sich hält, der besitzt
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