Die Gefährtin des Medicus
hastig wieder zu ihr auf. »Wer seid Ihr?«, fragte sie. »Und wohin bringt Ihr mich?«
Die Frau verdrehte gereizt ihre Augen. »In die Küche, wohin denn sonst!«, rief sie ungehalten.
Alaïs entspannte sich. In der Küche würde sie gewiss ein reiches Mahl erwarten, und als ihr, kaum dass sie das Innere jenes steinernen Palastes betreten hatten, verheißungsvolle Gerüche entgegenschwappten, zog sich ihr Magen fast schmerzhaft zusammen. Noch größer als der Hunger war freilich ihr Erstaunen, als sie sah, wie groß die Küche war. Kein kleiner Raum mit einer Herdstätte, wie sie sie von zu Hause kannte, erwartete sie, vielmehr ein Saal, in dem die Fischerkate, in der sie aufgewachsen war, gut und gerne dreimal Platz gefunden hätte.
Sie riss die Augen auf, langsam innewerdend, dass nicht nur der Raum sondern auch das Mobiliar und die Arbeitsgeräte um vieles größer waren als alles, was sie kannte: die Kisten und Schränke, in denen die Lebensmittel konserviert wurden, der Feuerbock beim Herd, über dem Sieder und Bratpfanne hingen, die Kesselstange, auf der mehrere Töpfe befestigt waren, die Dreifüße, auf denen ein weiterer Kessel stand. Der Spieß, der sich über dem Grill drehte, war so lang, dass man darauf nicht nur zwei Hühner aufspießen konnte, sondern derer zehn und obendrein noch zwei Schweine.
Ungemein laut ging es zu. Da war ein Zischen und Brodeln, da wurde getuschelt und gerufen, da wurde gehackt und geraspelt, geknetet und gestampft.
Einer der Köche schnitt eben ein saftiges Stück Fleisch auseinander, füllte es mit kleingeschnittenen Zwiebeln und Knoblauch und wickelte es in Speck ein, ehe er es in die eingefettete Bratpfanne legte und ein zischender Laut ertönte.
In einem anderen Topf kochte das Fleisch dampfend in seinem eigenen Sud; der betörende Geruch nach Thymian und Rosmarin stieg hoch, und eben rührte der Koch Eier und Mandeln in die Soße, auf dass sie sämig wurde. In einem weiteren Kessel ward
Pebrada
zubereitet – Rindfleisch in Pfeffersauce –, in wiederum einem anderen Kutteln mit Safran gewürzt und mit geschmolzenem Käse verrührt.
Aus ihrem Appetit wurde Gier. Gar nicht abwarten konnte sie, davon zu nehmen, und im Kopf traf sie bereits die Entscheidung, wonach es sie am stärksten gelüstete. Marguerite jedoch machte keine Anstalten, ihr etwas zu essen zu geben, sondern musterte sie nur abfällig.
»Du bist doch halbwegs sauber, oder?«
Aläis fühlte sich von der langen Reise verschwitzt und staubig, aber sie nickte. Sie wollte lieber essen und sich hinterher erst waschen als umgekehrt.
Doch das war der Frau nicht im Sinn gewesen, als sie die Frage stellte. »Gut«, meinte sie, »dann kannst du Brot backen.«
Sie klatschte in die Hände, woraufhin sich ein rotgesichtiges Mädchen aus dem Kreise jener schälte, die in der Küche ihren Dienst verrichteten. »Zeig ihr die Backstube!«, forderte Marguerite sie auf. Das Mädchen nickte. Alaïs aber fuhr empört herum. »Ich soll in der Backstube arbeiten? Wie kommt Ihr nur darauf? Ich will etwas zu essen haben!«
»Dann musst du’s dir erst verdienen, Mädchen, oder was glaubst du, wer du bist?«
»Ich bin mit Aurel Autard nach Avignon gekommen!«
»Nun«, meinte Marguerite verächtlich. »Den kenne ich nicht. Und wenn du mit ihm gekommen bist, wo ist er dann?«
»Er ist der Gast des Papstes.«
Ein flüchtiges Lächeln huschte über Marguerites Lippen. »Aber du ganz offensichtlich nicht. Denkst du etwa, Giacinto Navale hat Lust, eine faule Maid durchzufüttern? Keiner achtet aufs Geld wie er, das solltest du nie vergessen. Los jetzt!«
Alaïs konnte kaum fassen, was ihr geschah. Sie wurde nicht als Giacintos Gast behandelt, sondern wie eine schäbige Küchenmagd?
Sie war geneigt, der anderen zu widersprechen, augenblicklich die Küche zu verlassen und sich empört bei Giacinto zu beschweren. Doch zum einen wusste sie nicht, ob sie ihn in diesem riesigen Haus je finden würde, und zum anderen hielt sie es für noch aussichtsloser, seine Aufmerksamkeit zu gewinnen. Womöglich würde er ihr gar die Türe weisen, zeigte sie sich bockig. Und wohin sollte sie gehen – hier, in einer Stadt, die ihr fremd war, und in einer Welt, in der gottgeweihte Männer Weiber vom Papst fernhielten, und sie darum von Aurel getrennt worden war?
Was sie zuvor nur verärgert hatte, stimmte sie nun mutlos.
»Ich werde arbeiten«, erklärte sie durch zusammengepresste Lippen. »Aber erst muss ich etwas essen. Ich sterbe vor
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