Die Gefährtin des Medicus
Steinbrücke, die über den Fluss führte, wuchtig und breit und gekrönt von einer Kapelle, die auf mächtigen Säulen thronte. Diese wiederum reichten tief in das dunkle Wasser. Die Strudel, an anderer Stelle noch gewaltsam brausend, mochten dem Stein nichts anhaben, sie schienen vielmehr im Kreis darum herum zu tanzen und längst der vergeblichen Kraftprobe leid zu sein, sie einzureißen.
Auch Giacintos Blick wurde ehrfürchtig, gleichwohl er diese Brücke oft gesehen und sie ebenso oft überschritten haben musste. Wahrscheinlich gehörte sie zu einem jener Bauwerke, an deren Größe man sich nie gewöhnt und die stets erneut vor Augen halten, was der kleine Mensch mit Gottes Hilfe zu leisten vermag.
Alaïs’ Augen lösten sich von der Brücke, glitten höher zu einem schroffen Felsen, der die Stadt krönte und auf dessen Spitze drei Gebäude errichtet waren. Sie schienen eins zu werden mit dem Gestein, nicht darauf gebaut, sondern daraus erwachsen zu sein. Schwindelerregend musste es sein, von dort aus ins Land zu blicken – und unvorstellbar mühsam, jene Höhe zu erklimmen.
Schon der Fußmarsch mochte schweißtreibend sein – um wie viel härter jedoch wäre die Arbeit jener Steinträger, die eben ihre Lasten in Richtung der Gebäude schleppten?
»Der Bischofspalast soll noch größer werden«, erklärte Giacinto. »Als der Papst noch Jacques Duèse hieß und nur einer von vielen Bischöfen war, allerdings der von Avignon, hat er bereits hier gewohnt, gleich neben der Kathedrale und dem Schloss des Grafen. Doch was eines Bischofs würdig ist, mag für einen Papst nicht reichen. Nun lässt er sein altes Heim befestigen und schmücken.«
Alaïs blickte in das Gesicht eines der Steinträger, das von einer dicken Staubschicht überzogen war. Nicht nur der Rückenwurde von der Last nach unten gedrückt, sondern auch der Nacken. Stur blickte der Mann auf den Weg, als hätte er sich schon seit Wochen nicht mehr aufgerichtet und ob der Mühsal längst die Lust am Schauen verloren.
»Pack aus den Bergen«, meinte Giacinto leichtfertig. »Taugt zu nichts anderem als Lasten zu schleppen. Die Bauern aus dem Tal der Saône sind tüchtiger. Handeln mit Essen und mit Stoffen, und manch einer von ihnen gelangt hier zu Reichtum.«
Der Wagen machte einen Ruck, sodass sie fast nach vorne fiel. Kaum merklich hatte Giacinto den Befehl gegeben, anzuhalten.
»Hier scheiden sich die Wege«, erklärte er. »Mein Haus liegt nahe dem Papstpalast, doch nicht unmittelbar daneben. Ihr solltet zusehen, dass Ihr Eurem Bruder folgt, denn die Einladung hat schließlich euch beiden gegolten.«
Emy blickte ihn unsicher an, blinzelte dann in Alaïs’ Richtung. Jenes bittere Gefühl, ausgeschlossen zu werden, überkam sie wieder, doch sie suchte ihm nicht nachzugeben, ballte ihre Hände zu Fäusten und redete sich ein, dass ihre Trennung nicht länger währen würde als einen Abend und eine Nacht.
»Ihr achtet auf sie?«, fragte Emy den florentinischen Kaufmann und zögerte noch, auszusteigen.
»Nun geh schon!«, murrte Alaïs.
»Lasst Euch die Tafel des Papstes nicht entgehen«, bekräftigte Giacinto Alaïs’ Worte.
Erst als Emy verschwunden war, ging Alaïs auf, dass Giacinto seine Bitte nicht bejaht hatte, sondern die Antwort darauf schuldig geblieben war.
Giacintos Haus lag in der Nähe der Brücke. Der Wagen ruckelte über die Pflastersteine. Mühsam war es, durch die Gassen zu kommen, mancherorts war der Durchgang so schmal, dass wohl nicht einmal zwei Ochsen nebeneinander getrieben werden konnten. Die meisten Häuser hatten nur winzige Luken, und die Türen waren so niedrig, dass man sich bücken musste, um hindurchzukommen. Etwas großzügiger wurden die Gebäude schließlich, alssie erneut das Flussufer erreichten, wo Alaïs die andere Seite der Brücke bestaunen konnte. Sie schien hier nicht weniger wuchtig und majestätisch, doch an manchen Stellen war sie von den Blessuren der Zeit nicht unbehelligt geblieben. Einzelne Steine waren herausgerissen worden und wurden von ebenso buckligen Arbeitern wie die, die sich schweißüberströmt hoch zum Papstpalast schleppten, ersetzt. Ein mühseliges Unterfangen musste das sein, bedurfte es zu diesem Zwecke doch nicht nur vieler Arbeitskräfte auf der Brücke, sondern auch auf den kleinen Booten darunter.
Als sie den Fluss zuvor passiert hatten, hatte ihre Aufmerksamkeit nur Avignon gegolten, nicht jenem hohen Turm auf der anderen Seite der Rhône oder der mächtigen Abtei
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