Die Gefährtin des Medicus
Hunger.«
»Iss das, wovon du glaubst, es stünde dir zu«, erklärte Marguerite kühl. »Aber denk nicht, du wärst hier von großem Wert.«Alaïs konnte sich nicht erinnern, jemals so hart geschuftet zu haben wie in der
Farnaria
von Giacinto Navale – einem engen, rauchigen, heißen Raum, der fast gänzlich von einem riesigen Ofen, der
Mastra,
ausgefüllt wurde. Riesige Laibe schob man hinein, Weißbrot oder
Panis cum toto,
das man Schwarzbrot nannte – Ersteres war für die hohen Herrschaften bestimmt, Letzteres für Diener wie sie.
Bei der Zuteilung der Arbeit war Alaïs übervorteilt worden. Sie hatte kaum den Raum betreten, da war eine Magd auf sie zugesprungen und hatte Marguerite diensteifrig vorgeschlagen, Alaïs könne an ihrer statt das Mehl sieben, weil sie selbst am Waffeleisen gebraucht würde.
Alaïs hatte keine Ahnung, was Letzteres war und was man damit backen konnte – dass es Pasteten und Kuchen waren, erfuhr sie erst viel später. In diesem Augenblick dachte sie nur, dass die Arbeit am Waffeleisen wohl eine heiße war, das Sieben von Mehl hingegen viel angenehmer. Von wegen! Nicht nur in der Küche war alles viel größer als sie es gewohnt war, auch der Trog, in dem der Brotteig angerührt wurde, war fast so groß wie sie selbst, und um das Sieb überhaupt zu erreichen, das darübergespannt war, musste sie eine kleine Leiter hinaufklettern. Das allein wäre noch nicht schwer gewesen – umso mehr aber, riesige Säcke und Kisten voller Mehl von dem Getreidespeicher auf der anderen Seite der Küche hierher zu bringen, nach oben zu schleppen und den Inhalt in das Sieb zu kippen, um ihn von Rückständen an Halmen und Schalen zu reinigen.
Schon nach wenigen Gängen begann der Rücken zu schmerzen, und aus jeder Pore brach ihr der Schweiß aus – indessen die Maid beim Waffeleisen unangestrengt ihren Teig rührte und mit dreistem Grinsen Alaïs’ Schufterei beglotzte. Am liebsten hätte Alaïs sie an ihren Haaren gerissen, die sich unter der Haube hervorstahlen. Am liebsten hätte sie Marguerite in den Trog geworfen. Und am allerliebsten hätte sie einen der schweren Mehlsäcke um Aureis Gesicht geschlagen. Mit der Zeit verging ihr das Fluchen auf die Frauen und auf Giacinto Navale, doch der Zornauf den
Cyrurgicus
wurde immer hitziger, immer gnadenloser. Na warte, schimpfte sie innerlich, du wirst noch bereuen, dass du dich nicht um mich scherst! Dir werd ich’s schon heimzahlen, dass du mich erst in diese Lage gebracht hast!
Sie wusste weder wann noch wie ihr das gelingen würde, doch allein die Aussicht auf mögliche Rache gab ihr Kraft, die mühevollen, drückenden Stunden zu überstehen.
Endlich verkündete ein beleibter Mann den Feierabend. Alaïs floh augenblicklich in den Innenhof, um zunächst Luft zu schöpfen und dann etwas von dem erdig schmeckenden Wasser aus einem der Holztröge zu trinken. Der Himmel war mittlerweile grau und spuckte Nieselregen. Sie hob die Wange der kühlenden Feuchte entgegen, und als sie das Gesicht wieder sinken ließ, war es nass, als hätte sie geweint. Kummer und Zorn fühlte sie nicht mehr: Vom Bedürfnis, sich zu setzen, am besten hinzulegen, war beides gänzlich ausgemerzt. Müde hielt sie Ausschau nach Marguerite, doch die war verschwunden, und so oblag es ihr selbst, sich einen geeigneten Ort für die Nachtruhe zu suchen.
»Wo … Wo schlafe ich?«, fragte sie in die Runde der Dienstboten.
»Dort, wo wir alle schlafen«, ward ihr knapp erklärt.
Es stellte sich heraus, dass jeder schlief, wo er auch arbeitete. Die einen in der Küche, die anderen in der Bäckerei, wieder andere in den Vorratskammern. Allein der Gedanke an den beißenden Rauch, dem sie den Tag über ausgesetzt gewesen war, war ihr unerträglich. Zwar hockte er auch in der Küche in jeder Ecke, doch diese war höher als die
Farnaria
und besaß in der Mitte der Decke einen dünnen Rauchabzug. Auch roch es dort nach mehr als nur nach verbranntem Mehl. Unauffällig schlich sie sich zu einer der Holzbänke, und ehe ein anderer ihr diesen Platz streitig machen konnte, lag sie schon zusammengerollt und gab sich schlafend. Nicht lange musste sie es vortäuschen, sondern wurde von ihrer Müdigkeit übermannt. Als sie später plötzlich aufschreckte, fühlte sich ihr Mund ausgetrocknet an und ihr Kopf wie geschwollen. Sie glaubte, nur wenigeAugenblicke geschlafen zu haben, doch dann sah sie, dass Dämmerlicht durch die Ritzen kroch. Die anderen schliefen noch. Sie hörte es am
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