Die Gefährtin des Medicus
Schnarchen, bei den einen laut und durchdringend, bei den anderen lediglich ein seufzendes Schnaufen. Eben noch hatten diese Geräusche ihren Schlaf nicht gestört, doch nun, da sie sich wieder niederlegte, vermeinte sie, ihr Kopf müsse davon platzen.
Verflucht, warum muss ich hier sein?, dachte sie wütend. Wie konntest du mir das antun, Aurel Autard?
Sie wälzte sich eine Weile hin und her, fand aber keine Ruhe mehr und entschied schließlich, an die frische Luft zu gehen. Sie durchquerte die Küche, kam von dort in jenen Gang, den sie am Tag zuvor erstmals beschritten hatte, und trat in den Hof.
Von der trägen Morgenstimmung, die noch über der Küche lastete, war dort nichts zu merken. Reges Treiben herrschte, als wären die Nacht und ihre Stille schon seit vielen Stunden vorüber. Stimmen gingen wild durcheinander – am lautesten stritten zwei Männer, die irgendetwas von Reitpferden und Silber faselten und dass sie für ihre Dienste lieber damit ausbezahlt würden, als mit Geld. Doch worum es in Wahrheit ging und wie der Streit endete, erfuhr sie nicht. Die Unruhe im Hof erfrischte Alaïs noch mehr als der kühle Luftzug. Wie am Abend zuvor war der Himmel grau. Einige Pfützen bekundeten, dass es die ganze Nacht über geregnet hatte, und ihre Haare lockten sich alsbald feucht an ihren Schläfen.
Sie blickte sich um. Niemand scherte sich um sie, und auch von der blonden Marguerite, die sie mit schroffer Stimme zur Arbeit hätte treiben und darauf pochen können, dass sie sich ihr täglich Brot im Schweiße ihres Angesichts verdiente, war weit und breit nichts zu sehen. Allein beim Gedanken an die raucherfüllte
Farnaria
brach ihr der Schweiß aus und schmerzte ihr der Rücken.
Alaïs lugte zum Tor, das weit offen stand, entschied, nicht länger über sich bestimmen zu lassen, und durchschritt es, um Emy und Aurel suchen zu gehen.Schon bei ihrer Ankunft in Avignon war Alaïs das unglaubliche Gewühle aufgefallen. In den Morgenstunden ließen sich die engen Gassen zwar noch durchschreiten, ohne dass man ins Stocken geriet – doch jene satte Ruhe, die bei Tagesanbruch über Saint – Marthe lag, schien in der Stadt des Papstes niemand zu kennen. Stimmen schwirrten durch die Luft, Menschen kamen aus allen Himmelsrichtungen geeilt, Gerüche vermischten sich – manche wohltuend lieblich, andere unerträglich beißend.
Noch war die Stunde der Morgenmahlzeit nicht gekommen, da schienen sämtliche Händler schon Gier auf schmackhafte Speisen entfachen zu wollen. Einer pries laut dicke, runde Käselaibe aus der Dauphiné und der Auvergne an und rühmte sich, damit auch den päpstlichen Hof zu beliefern. Ein anderer versuchte, seinen köstlichen Honig zu verkaufen, der dunkelbraun von hölzernen Löffeln troff. Zu dem menschlichen Gekreische kam Gegacker, als Alaïs sich der
Pollasseria
näherte – jener Straße, wo mit Enten und Gänsen, Tauben, Kapaunen und Hähnchen gehandelt wurde. Manche wurden lebend verkauft, anderen wurde vorher der Kopf umgedreht oder gar abgehauen, wieder andere wurden schon so zeitig am Morgen auf eisernen Stangen kross gebraten. Leichtfüßig wich Alaïs den rötlichen Blutspuren aus, die sich über die Straße zogen. Vor dem übrigen Unrat – Federn, Hühnerdreck und zertretenes Futter – gab es hingegen kein Entkommen.
Nach Blut roch es auch am Place Vie, wo die Fleischhauer in ihren Ständen schufteten. Hier stieß Alaïs auf eine riesige Schlachtbank, zu der die noch lebenden Tiere paarweise gebunden geführt wurden, ehe man ihnen die Kehle durchschnitt, sie ausbluten ließ und – umsurrt von dunklen Fliegen – zerteilte. Jene Männer, die mit gleichmütigem Gesicht und gekonnt auf das Fleisch einhackten, schienen längst taub geworden für das unwillige Muhen, Blöken und Grunzen.
In Saint – Marthe war nur an ausgewählten Tagen Vieh geschlachtet worden. Sämtliche Familien hatten sich daran beteiligt, und hinterher wurde das Fleisch geteilt. Doch in Städten gabes, wie sie nun erfuhr, einen eigenen Beruf zu diesem Zwecke, und wer diesem nachging, tat den ganzen Tag nichts anderes.
Ein bestimmtes Amt – viel weniger blutig, stinkend und anstrengend – hatte wohl auch jener Mann inne, der in einer schief zusammengezimmerten Bretterbude am anderen Ende des Platzes hockte. Zu ihm kamen die auswärtigen Händler, die ihre mitgebrachte Ware in Avignoneser Maße und Gewichte umrechnen und umfüllen lassen mussten, ehe sie sie auch verkaufen durften. Dafür bezahlten sie
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