Die Gefährtin des Medicus
wirklich hungrig aussiehst.«
Von wegen! Alaïs knurrte der Magen. Mochte sie am Tag zuvor auch genug zu essen bekommen haben, die Arbeit hatte an ihren Kräften gezehrt, sodass sie wieder hungrig war.
Schon deutete ihr die Frau den Weg, und ohne zu danken, ließ Alaïs sie stehen. Aus dem Augenwinkel sah sie noch, wie die Frau ihr kopfschüttelnd nachblickte.
Wieder musste sie achtgeben, dass sich kein Ellbogen in ihren Leib rammte oder Männer auf Pferden sie niederrissen. Sie stieß auf jene Steinträger, die sie bereits bei ihrer Ankunft gesehen hatte. Stur gingen sie geradeaus, achteten jeweils nur auf den nächsten Schritt, jedoch nicht auf die Menschen, die ihnen entgegenkamen oder sich an ihnen vorbeizwängten. Fast wäre Alaïs mit einem von ihnen zusammengestoßen.
»Pass doch auf!«, zischte sie. Der Mann hörte gar nicht auf sie, schleppte nur stoisch seinen Stein, und trotz des ärgers verlangsamte Alaïs ihren Schritt. Hatte Giacinto nicht erzählt, dass der Palast des Papstes vergrößert wurde, und war es darum nicht ratsam, jenen Männern zu folgen, die die Steine womöglich dorthinschleppten?
Sie lief unauffällig hinter einem her, nutzte dessen Schatten und zog wie er den Kopf ein. Sie bemerkte darum nicht, dass die Häuser, je höher sie kamen, weniger dicht beisammenstanden und sie schließlich durch ein Tor schritten. Erst danach hob sie den Kopf – und war enttäuscht.
Hier sollte der Papst residieren?
Nun gut, die Häuserflut, auf die sie stieß, war aus Stein und so hoch wie die von Giacinto, doch sie versprach keinerlei Liebreiz: Weder gab es prächtige Säulen noch runde Fenster, nur flache Wände, die erst nach und nach errichtet worden waren, sodass sie nicht zusammenpassten, sondern ein unregelmäßiges Rechteck bildeten. Der Steinträger ging unverdrossen voran, Sonne brach durch die eben noch graue Wolkenwand und fiel auf ihr Gesicht. Sie schützte ihre Augen mit der Hand, um zu erkennen, wohin sein Weg führte – nämlich zu einer kleinen Kirche, nicht weit von den übrigen Gemäuern.
Als er darin verschwunden war – das Hämmern bekundete, dass an dieser Kirche eifrig gebaut wurde –, drehte sie sich ratlos im Kreis.
Bis jetzt hatte sie das Gefühl gehabt, sie müsse nur den Mut haben, diesen Weg zu wagen, dann würde sich der Rest schon fügen. Nun blieb ihr nichts anderes übrig, als von einem Fuß auf den anderen zu treten und sich einzugestehen, wie verloren sie sich in dieser fremden Stadt fühlte.
Immerhin hatte sich der Gestank, der in den Gassen hockte, verflüchtigt. Neben einem der Gebäude – war es das Wohnhaus des Papstes, die
Präpositur,
das Dekanat? – machte sie einen kleinen Garten aus. Zwei Apfelbäume standen dort, Rosen – und Weinstöcke. Es roch würzig nach Salbei und Majoran, und irgendein Bohnengewächs kletterte an den Wänden hoch. Als sie schnupperte, nahm sie noch durchdringendere Düfte wahr. Sie folgte ihnen, hörte nun auch Stimmen und sah schließlich einen Edelknappen dort stehen, ähnlich bekleidet wie jene, die am Tag zuvor im Gefolge des Papstes Aureis Dreistigkeit bekichert hatten. Vor sich um den Leib geschnürt trug er eine große Holzlade,in der sich ähnliche Ledersäckchen befanden, wie sie Aurel zur Verwahrung von Heilmitteln gebrauchte. Jene verteilte er an die umstehenden Männer, um – sobald ihm der Vorrat ausging – weitere aus schweren hölzernen Kisten nachzufüllen, die hinter ihm standen und von zwei finster blickenden Rittern bewacht wurden.
»Das muss fürs nächste Jahr reichen«, erklärte er laut, »also geht sparsam damit um. Hier sind die Gewürze für den Koch – Myrrhe, Lavendel und Kümmel – und das sind die für den
Speciarius:
Ingwer, Pfeffer und Zimt, Zucker aus Kaffa oder aus Babylon.«
Alaïs beobachtete staunend, wie nicht nur der Gewürzmeister seine Ware ausgeliefert bekam, sondern auch der Apotheker seinen Anteil an den Gewürzen und der Kerzenmeister seinen Talg. Jener, so hörte sie nun, war wiederum nicht nur für die Kerzen, Fackeln und Laternen zuständig, sondern auch für die richtige Aufbewahrung von Käse.
»Damit soll ich auskommen?«, raunzte einer der Männer unwillig. »Bei dieser Menge an Talg müssen wir demnächst alle im Finstern wandeln. Soll der Heilige Vater über seine Füße stolpern und sich sämtliche Knochen brechen?«
Bislang hatte man sie nicht gesehen. Doch just in dem Augenblick, da Alaïs ein vertrautes Gesicht erblickte – es war das
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