Die Gefährtin des Medicus
Körper auf keinerlei Weh schließen.
»Ich nicht«, murmelte Marguerite, »aber …«
Sie waren durch den Saal gegangen, der sich an die Küche anschloss, und von dort in einen der Gänge gelangt, die Alaïs bis jetzt nicht kannte. An dessen Ende befand sich eine Tür aus Eichenbohlen, die Marguerite nun aufstieß. Sie hob die öllampe, die sie in ihren Händen hielt und die ausreichend Licht verströmte, um die Kammer zu erleuchten.
Ohne Zweifel war die Einrichtung edel. Das Bett war aus massivem Holz gebaut, und die Matratze, die darauf lag, sah dick und weich aus – ganz anders als der harte Strohsack, auf dem Alaïs zu schlafen gewohnt war.
Sie trat ein und ging zu dem Bett, auf dem das schwarzäugige, bleiche Mädchen mit seinem fast weißblonden Haar lag und zu ihr heraufstarrte – nicht mehr altklug und wissend wie bei ihrer ersten Begegnung, sondern mit geröteten Augen.
»Roselina«, sagte Alaïs ihren Namen, um sich dann an Marguerite zu wenden. »Was fehlt ihr?«
»Das Bein … Sie sollte das Haus nicht verlassen, aber sie macht es wieder und immer wieder. Sie hat sich an einem Holzscheit den Fuß aufgerissen, und nun ist die Wunde rot und eitrig und ich habe Angst, dass Wundbrand daraus wird. Verstehst du nun, warum ich die Hilfe deines Medicus brauche?«
Alaïs gähnte und erklärte schlicht: »Für so etwas brauchst du keinen Medicus wie Aurel Autard einer ist. Viel zu minder wäre ihm eine solche Aufgabe. Aber ich …«, sie konnte sich ein stolzes Lächeln nicht verkneifen und ebenso wenig, ihre Schultern zu recken, »ich kann dir helfen.«
Alaïs ließ sich am Bett des kranken Kindes nieder und befühlte dessen Stirn, die warm, aber nicht fiebrig heiß war. Roselina starrte sie aus dunklen Augen an.
»Kannst du dich noch an mich erinnern?«, fragte Alaïs. »Du hast mir das Kamel des Papstes gezeigt … Ich bin Alaïs.«
Sie versuchte, möglichst sanft und unaufgeregt zu klingen, um das Kind nicht zu verschrecken – und fühlte sich zurückversetzt in jene Zeit, da sie Aureis Kranke beruhigt hatte. Dass sie sich jetzt besondere Mühe gab, lag nicht nur am Mitleid mit dem Kind, sondern weil sie die überlegenheit über Marguerite auskosten konnte. Mochte ihr diese ansonsten mit schriller Stimme befehlen, nun kniete sie sich als ängstliche Mutter vor die Schlafstatt der Tochter, hob die Decke und legte das Beinchen frei, auf dass Alaïs die Wunde inspizieren konnte.
»Ist es wahr?«, fragte sie bang. »Kannst du ihr wirklich helfen?«
Alaïs musterte den Schnitt, der sich an Roselinas Wade entlangzog. Er war tiefrot, aber was Marguerite für Eiter gehalten hatte, war nur sämiges Blut. Sie presste die Hautränder zusammen, und ob des Drucks fügten sie sich augenblicklich aneinander.
»Hab schon Schlimmeres gesehen«, meinte sie knapp, um dann hinzuzusetzen: »Ich glaube nicht, dass man es nähen muss.«
»Glauben allein ist mir zu wenig!«, fuhr Marguerite sie an und offenbarte etwas von ihrer sonstigen Schroffheit.
Doch als Alaïs nickte und energisch bekundete: »Ich bin mir sicher, dass man es nicht nähen muss. Ich werde ihr einen Verband machen«, da bekam ihre Stimme wieder einen flehentlichen Ton. »Dann tu das! Ich bitte dich!«
Alaïs erhob sich und winkte Marguerite, ihr zu folgen. »Wir kommen gleich wieder«, sagte sie in Richtung des Kindes, das sie ernsthaft, aber wortlos musterte, und schritt zügig zurück zur Küche. »Muss schauen, ob ich die richtigen Zutaten habe, um eine heilende Paste zu machen«, erklärte sie knapp.
Marguerite eilte ihr nach. »Ich … ich kann dir alles besorgen!«, erklärte sie.
»Mitten in der Nacht?«
»Ich habe Zugang zu den Vorratskammern. Ich bringe dir, was immer du brauchst.«
»Lass mich erst nachsehen, was ich in meinem Lederbeutel habe.«
Einmal mehr fragte sich Alaïs, woher Marguerites Macht in Giacintos Haus rührte, obwohl sie nicht wie eine Dame hoher Herkunft wirkte. War sie des Kaufmanns Geliebte und Roselina sein Kind? Aber war Giacinto ein Mann, der der Mutter eines Bastards so viel Einfluss zugestehen würde?
Das konnte sie sich nicht vorstellen. Doch vor allem zählte es, diesen Einfluss für ihre Zwecke zu nutzen.
Sie hatte ihre Schlafstatt erreicht, an deren Fußende der Lederbeutel lag, in dem Caterina ihr seinerzeit den Proviant mitgegeben hatte. Nachdem er aufgebraucht gewesen war, hatte fortan Emy das Essen getragen, sie hatte jedoch im eigenen Beutel immer mehr von dem gesammelt, womit sie Aurels
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