Die Gefährtin des Medicus
Tochter ein Leinentuch aus und gab ihr erst dann zu trinken. Trotz sichtlichem Durst bemühte sich Roselina, nicht allzu große Schlucke zu machen.
»Ich mag eine einfache Bauernmaid sein!«, murmelte Marguerite, und Aläis war sich nicht sicher, ob die Worte für sie bestimmt waren oder für Roselina. »Aber meinem Kind soll man diese Herkunft nicht ansehen. Es soll gute Manieren haben.«
Artig reichte die Kleine der Mutter den Becher. Jene nahm das Tuch zurück und deckte das Mädchen, sobald es zurück in sein Bett geklettert war, fürsorglich zu, streichelte über seine Stirn und hauchte ihm einen Kuss auf die Wangen.
Eine Weile noch hatte Aläis das Kind betrachtet, sich schließlich aber zum Gehen gewandt und den Gang betreten. Der Triumph, den sie eben noch gefühlt hatte, schwand. Der Anflug von Dreistigkeit, mit der sie unwillkürlich Aureis Gebaren nachgeäfft hatte, wenn er sein umfangreiches Wissen ausspielte, gab der Müdigkeit nach.
Sie konnte die Wunde eines kleinen Mädchens versorgen und Heiltränke brauen – doch hatte jene Kenntnis nicht immer nur dem Zwecke gedient, vor Aurel damit aufzutrumpfen und ihm den eigenen Wert vor Augen zu halten?
Am Ende der Nacht schien nicht die Gewissheit zu bleiben, einem Kind geholfen zu haben, sondern einzig die, dass er so unendlich weit weg war und dass das, was sie sich an seiner Seite angeeignet hatte, künftig vielleicht anderen Menschen helfen würde, niemals aber ihr.
Doch sie war noch nicht wieder zurück zu ihrer Schlafstatt gelangt, als sich herausstellte, dass diese düsteren Gedanken sie trogen.
»Alaïs!«, rief Marguerite sie plötzlich zurück. »Alaïs!«
Sie drehte sich träge um und sah die andere auf sich zulaufen, immer noch nicht als die herbe, schroffe Frau, wie sie sie kannte, sondern in der ungewohnten Gestalt der besorgten Mutter. Nachdem Marguerite sie erreicht hatte, ergriff sie Alaïs’ Hand und drückte sie fest. »Hab Dank!«, stammelte sie. »Hab Dank für deine Hilfe!«
So schlagartig wie eben wechselte erneut Alaïs’ Stimmung. Inmitten von Triumph und Verzweiflung rührte sich noch etwas anderes: kalte Berechnung.
»Sind nette Worte alles, womit du deinen Dank ausdrückst?«, gab Alaïs schroff zurück und entzog der anderen ihre Hand.
Obwohl sie im Dunkeln kaum etwas von Marguerites Gesicht erkennen konnte, war ihr, als würde ein flüchtiges Lächeln auf deren Lippen huschen. »Hast du Hunger?«, fragte sie.
»Ha!«, lachte Alaïs kalt. »Ich backe den ganzen Tag Brot, und du denkst, ich habe Hunger? Oder glaubst du etwa, ich wäre so dumm, mir nicht so viel zum Essen zu nehmen, wie ich brauche?«
Marguerites Lächeln wurde breiter. »Gut«, gab sie zu. »Hab mich wohl falsch ausgedrückt. Ich meinte nicht Hunger, sondern Appetit – Appetit auf etwas Besseres als stets nur das trockene Brot, dann und wann eine Schüssel Eintopf mit zähem Fleisch oder fade Grütze. Etwas viel Besseres.«
Noch im Reden hatte sie sich umgewandt. »Komm!«, winkte sie.
Alaïs folgte ihr zögerlich zu einer Tür im untersten Stockwerk, die sie bis jetzt immer abgesperrt vorgefunden hatte. Marguerite griff nach ihrem Gürtel, an dem ein schwerer Schlüsselbund hing, und sperrte sie auf.
»Es gibt im Haus viele Vorratskammern«, erklärte sie, »in dieser hier werden nur jene Speisen aufbewahrt, die Giacinto selbst oder einigen Kardinälen der Nachbarschaft serviert werden.«
Alaïs war trotz der verführerischen Gerüche, die ihr aus dem Raum entgegenschwappten, abwartend an der Türe stehengeblieben. Marguerite hingegen betrat ihn dreist und griff schon nach der ersten Platte. Obwohl nur trübes Mondlicht durch die runde Fensterluke fiel, fand sie sich mühelos zurecht.
»Probier nur!«, sagte sie und hob das Tuch, das die Platte bedeckte. »Dies ist ein Gericht aus Navales Heimat. Längst haben es auch die Provençalen für sich entdeckt.
Crosete sieue rafiole,
so etwas Ähnliches wie Lasagne.«
Alaïs hatte weder von dem einen noch von dem anderen je gehört, aber sie trat nun näher und beugte sich über die Platte. Sie aß noch nicht von jenem Gericht, befühlte nur vorsichtig die obere Teigschicht, viel dünner und feiner als eine harte Brotkruste.
Marguerite war weniger zurückhaltend. Nicht zum ersten Mal schien sie heimlich bei Nacht in diesem Raum zu stibitzen. Sie griff nach einem Löffel und begann aus einer anderen Schüssel zu essen.
»Carnes in Galatina«,
erklärte sie mit vollem Mund, um freilich schon
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