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Die Gefährtin des Medicus

Die Gefährtin des Medicus

Titel: Die Gefährtin des Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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festgelegt. Dass derlei Kontrolle notwendig war, um die Armen nicht um ihr Geld zu betrügen, verstand sie – nicht aber die Freude, die dieser ansonsten griesgrämige Mann an seiner Aufgabe zu finden schien. ähnlich liebevoll und zugleich besitzgierig strich er über die Brotlaibe wie Giacinto über seine Geldbörse.
    Giacinto selbst sah sie in den nächsten Wochen kaum, und schließlich entnahm sie dem seltenen Getuschel der anderen, dass er wieder auf Reisen war, wohin und wie lange genau, das wüsste man nicht. Alaïs vermutete, dass er in seine Heimatstadt Florenz aufgebrochen war, wie er es ihnen einst angekündigt hatte – nur, dass sich die Pläne, sie mitzunehmen und seinem Bruder Pio Navale vorzustellen, zerschlagen hatten.
    Dies war der Moment, wo sämtliches Elend ihres Lebens über ihr zusammenschlug. Unendlich traurig war es für sie, ans Reisen und Herumziehen auch nur zu denken. Die Mühsal, die das unstete Leben mit sich gebracht hatte, verblasste in den Stunden, da sie sich vor dem heißen Ofen abmühte. Es zählte einzig, dass sie damals jeden Tag neue Orte gesehen hatte und nie lange an einem verweilen musste. Unruhig hatte sie sich seinerzeit auch oft in Saint – Marthe gefühlt – doch nie hatte sie sich im eigenen Los derart gefangen gewähnt wie jetzt. Das Allerschlimmste war, dass sie Emy belogen hatte, als sie trotzig die Freude bekundet hatte, die beiden Brüder los zu sein. Kein Tag verging, ohne dass sie Aurel verfluchte, und kein Tag verging, ohne dass sie sich nach ihm sehnte und nach all dem, womit er sie immer hatte anstecken können: diesem Drang nach Freiheit, dieser Selbstherrlichkeit, sich sämtlichen Geboten zu widersetzen, dieser Dreistigkeit, selbst den Tod noch zu verhöhnen. Sich verbieten, ihn selbst zu vermissen – das konnte sie, nicht aber, sich nach dem Leben an seiner Seite zu verzehren, jeden Tag ein bisschen mehr, bis die Verzweiflung ihr das Fluchen endgültig ausgetrieben hatte.
    Ein wenig half, dass sich Emy entgegen ihrer ablehnenden Worte dann und wann vom päpstlichen Palast fortstahl, um sie zu besuchen. Dann steckte er ihr Leckereien von der Tafel zu und tröstete sie damit, dass Aurel – noch geblendet von Lob und Anerkennung – vielleicht schon bald die Lust verlieren mochte, einem zwar alten, aber sehr gesunden Papst zu dienen. Rüde gab sie ihm zunächst zu verstehen, dass er sich die Sorge sparen könnte; wie sie es bereits gesagt hatte, sie käme allein zurecht. Doch Emy schien dem nicht zu trauen, kehrte immer und immer wieder, und am Ende hatte sie, wenn auch nicht ihm, so zumindest sich selbst kleinlaut einzugestehen, dass dies die Stunden waren, die ihr Kraf' und Mut gaben, und dass sie ohne ihn, mit dem sie in Erinnerungen an ihr verlorenes Leben schwelgen konnte, noch mehr verzweifelt wäre.
    Noch etwas anderes hielt sie aufrecht: dass es trotz des harten Schuf tens zwischendurch Gelegenheit gab, sich aus dem Haus zu stehlen. Sie gab vor, frisches Wasser zu holen, und kehrte erst viel später wieder zurück, und da sie nie zur Rede gestellt wurde – bisauf Marguerite fehlte die Aufsicht über die Dienstboten, und jene scherte sich nicht wirklich darum –, wurde Gewohnheit daraus. Zunächst blieb sie in Giacintos Palast, erforschte die Räume, die neben der Küche lagen – meist Lager für Waren oder Nahrung –, und wagte sich schließlich in den ersten Stock hinauf. Als sie sich an den hohen, steinernen Räumen, den Tapisserien und den Wandbehängen sattgesehen hatte, verließ sie wie am ersten Tag das Haus, um durch Avignons Straßen zu streunen.
    Bald kannte sie die Gässchen und die Gebäude in der unmittelbaren Nachbarschaft. Obwohl Avignon aus allen Nähten platzte und gewiss mehr Menschen Häuser suchten als derer zur Verfügung standen, stieß sie hier vor allem auf Lagerhallen – ähnlich derer, die Giacintos Dach beherbergten – und auf Ställe. Offenbar wollte man die vornehme Nase des Papstes nicht mit Gestank belästigen, sodass die Ritter und Adeligen aus seiner Gefolgschaft ihr Getier weit vom Palast entfernt unterbrachten.
    Alaïs wagte sich nicht an die Pferde heran – unheimlich groß schienen sie ihr, das Schnauben wirkte bösartig, die geblähten Nüstern spöttisch. Doch eines Tages erblickte sie anstelle der Pferde ein gar sonderbares Tier. Es war an einen Pfahl gebunden und etwas größer als ein Pferd, besaß jedoch eine andere Statur. Sein Fell war gelblich, auf dem Rücken hockte ein riesiger Buckel, und die

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