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Die Gefährtin des Vaganten

Die Gefährtin des Vaganten

Titel: Die Gefährtin des Vaganten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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aus den einen oder anderen Bemerkungen konnte man sich schon recht viel zusammenreimen. Es ging um Reliquienschwindel, um Huren und um Mord, und Melle hatte den furchtbaren Verdacht, dass auch ihre Mutter mit dieser Sache zu tun gehabt hatte. Niemand hatte ihr bisher gesagt, wie sie in Konstanz gestorben war. Sie hätte ihren Vater fragen können, aber der Stolz hatte sie bisher davon abgehalten, ihn um eine Erklärung zu bitten.
    Jetzt stieg der Ritter vom Pferd und sah sich im Hof um. Nys, die Magd, die den Wassereimer aus dem Brunnen haspelte, gab ihm die Auskunft, dass derzeit nur der Wagner anwesend sei. Daraufhin verschwand von Hane in der Werkstatt. Überaus neugierig geworden, rutschte Melle ein Stückchen nach unten und schaute durch eine Stelle, an der die Schindel fehlte.
    Goswin hatte Speichen in einem Rad befestigt und sah auf, als der Ritter ihn ansprach. Ein höf­licher Mann war der gewiss, weit höf­licher als der misslaunige Wagner. Das schöne Herbstwetter, die gute Handwerksarbeit, die hier geleistet wurde, das angenehme Gasthaus – Wortgeplänkel, das mit einigermaßen unwilligem Gebrumm beantwortet wurde.
    Was wollte der Ritter wirklich?
    Melle hatte Matti vergessen, sie lauschte aufmerksam.
    »… von der Einsiedlerin gehört, die oben am Wald lebt. Aber sie hat ihre Klause verlassen.«
    Melle spitzte die Ohren. Frau Laure hatte allen eingeschärft, über Frau Hemmas Anwesenheit zu schweigen.
    »Die aal Hex«, schnaubte Goswin. »Was wollt Ihr von der?«
    »Ich brauche ihren Rat, guter Mann. Wenn Ihr wüsstet, wo sie zu finden ist …«
    Melle war sich ganz sicher, dass Münzen die Hand wechselten.
    »Die wollen nicht, dass es wer weiß. Aber die Alte ist hier. Droben in Laures Kammer.«
    »Dann will ich auf das nächste Mal warten, wenn Frau Laure wieder hier ist, und sie bitten, mich mit ihr sprechen zu lassen.«
    »Macht, was Ihr wollt. Ich hab Euch nichts gesagt.«
    »Natürlich, Meister Goswin. Dank Euch und gehabt Euch wohl.«
    Der Ritter verließ die Werkstatt, und Hufklappern entfernte sich.
    Etwas Weiches, Pelziges schmiegte sich an Melles Arm.
    »Nanu, Äffchen. Bist du die Leiter hochgeklettert?«
    Der Affe schnatterte und deutete auf Matti oben auf dem First.
    »Na, dann versuch du, ihn da runterzulocken.«
    Geschickt turnte der Affe nach oben und setzte sich neben den verunsicherten Kater. Mit seinen langen Fingern kratzte er dessen Fell, was Matti nach einer Weile zu beruhigen schien. Belustigt schaute Melle zu und wartete geduldig. Vermutlich war es sowieso besser, sie wartete noch einen Moment mit dem Abstieg. Es wäre nicht gut, wenn der blöde Goswin merken würde, dass sie ihn belauscht hatte.
    Warum war der Ritter vorbeigekommen? Warum tat er so freundlich mit Goswin? Immerhin hatte er dessen Freunde getötet. Was wollte er von Frau Hemma? Er hatte versucht, sie umzubringen. Warum hatte Goswin sie an ihn verraten? Hier wurde ein falsches Spiel gespielt.
    Melle biss sich auf die Unterlippe. Sie musste mit jemandem darüber reden. Am liebsten mit Piet. Aber der würde erst spät zurückkommen. Mit Frau Laure könnte sie auch sprechen – sie war bestimmt am Nachmittag wieder da. Aber sie mochte den Ritter. Sie wollte ja nicht einmal glauben, dass er die alte Frau bedroht hatte. Jan und Paitze könnte sie natürlich davon erzählen, aber was konnten sie schon ausrichten? Blieb noch der Magister. Der wollte am nächsten Tag zurückkommen.
    Seit einigen Tagen rang Melle mit sich selbst. Anfangs hatte sie ihrem Vater übelgenommen, dass er so einfach aufgetaucht war und gemeint hatte, über ihr Leben bestimmen zu können. Sie hatte ihn für einen Waschlappen gehalten, einen Schwächling, einen trotteligen Schreiber, der von den Vaganten durchgeschleppt wurde. So hätte sie ihn gerne weiterhin gesehen, aber wenn sie ehrlich zu sich war, dann stimmte das nicht. Piet und Inocenta schienen ihn zu respektieren, Frau Laure mochte ihn sogar gern. Na ja, und den Grapscher hatte er mit einem harten Schlag zu Boden geschickt. Er schien auch in Köln eine ganze Reihe Leute zu kennen, auch wenn er vermutlich gerne in die Stadt reiste, um die Huren aufzusuchen.
    Trottelig war er wohl doch nicht.
    Allerdings spielte er ihr den Trottel vor.
    Verdammt, noch so einer, der ein falsches Spiel spielte.
    Obwohl … Eigentlich hatte sie ihn selbst immer nur beschuldigt, ein Tropf zu sein, er hatte ihr einfach nur nicht widersprochen.
    Dumm, das.
    Melle wand sich bei dieser Erkenntnis innerlich.

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