Die Gefährtin des Vaganten
reichte ihm Schüssel und Löffel. Er fasste ihn, aber als er versuchte, die Hand zum Mund zu führen, gab er einen Schmerzenslaut von sich.
»Ihr gestattet?«, fragte Laure und nahm ihm die Schüssel ab.
»Sie haben mich angekettet. Meine Schultern … ich kann sie kaum bewegen.«
»Es wird besser werden. Aber bis dahin lasst Euch helfen.«
Ohne zu murren ließ er sich von ihr füttern.
Es musste ihm entsetzlich schlecht gehen. Männer gaben nicht gerne zu, dass sie hilfsbedürftig waren.
»Schlaft jetzt wieder, Hagan. Einer von uns wird immer in Eurer Nähe sein.«
»Melle?«
»Melle hat geholfen, Euch zu befreien. Sie war sehr mutig.«
»Sie haben den Leib Jesu!«
»Was?«
»Behaupten sie. Dietrich sagt …«
»Alles zu seiner Zeit.«
Sie nahm das Polster hinter seinem Rücken fort, sodass er wieder liegen konnte, und zog die Decke zurecht. Er sah elend aus. Einen kleinen Moment zögerte sie, dann beugte sie sich vor und küsste seine Stirn.
»Schlaft.«
37. Unbequeme Wahrheit
Uns und den Unsrigen ist das Märchen von Jesus zum Segen geworden!
Papst Pius II .
Gunnar von Erpelenz, der Berater des Erzbischofs Dietrich, schäumte vor Wut. Er war dermaßen zornig, dass die Knöchel, die das goldene Kreuz auf seiner Brust umklammert hielten, weiß hervortraten.
»Verschwunden? Lothar von Hane ist verschwunden? Und mit ihm ein Magister Hagan? Aus Eurem Kerker, Brigitte! Und das teilt Ihr mir erst heute mit?«
»Er muss ihn befreit haben. Ich habe meine Leute ausgeschickt, sie zu suchen, aber es fand sich keine Spur.«
Die fettleibige Frau saß in einem breiten Scherensessel in ihrem Gemach und betrachtete den schnaubenden Mann kühl.
Er rauschte mit großen Schritten vor ihr auf und ab, und seine kostbaren Gewänder wogten zischelnd um ihn herum.
»Wer war er?«
»Keine Ahnung. Er gab sich als Pelzhändler aus, dann, unter meiner Befragung, gab er zu, ein Schreiber des Bischofs Raban von Helmstedt zu sein. Er war in seinem Auftrag in Konstanz und hat sich dort einer Gruppe Vaganten angeschlossen. Eine blödsinnige Geschichte, aber ich hätte die Wahrheit noch aus ihm herausgekitzelt.«
Gunnar blieb vor ihr stehen.
»Ein Schreiber des Speyrer Bischofs, sagt Ihr.«
»Glaube ich nicht. Aber er blieb fest bei dieser Aussage.«
»Mit Namen Hagan?« Und dann brüllte Gunnar von Erpelenz einen derartigen Schwall unflätiger Flüche heraus, dass selbst die Mater Dolorosa erschreckt zusammenzuckte. Schließlich schnappte er nach Luft und spuckte: »Magister. Hagan. War. Kein. Schreiber.«
»Nein, vermutlich nicht«, meinte Brigitte. »Ihr wisst mehr?«
»Er war der Weihbischof von Speyer, der angeblich im Rhein ersoffen ist. Verdammte …«
»Mäßigt Euch.«
»Nein, ich mäßige mich nicht. Ich kann mich nicht mäßigen. Das Maß ist voll! Schafft mir den Kerl herbei.«
»Kann ich nicht.«
»Ihr werdet es müssen. Findet umgehend heraus, wo er steckt! Und treibt diesen verfluchten Ritter auf. Weit können sie nicht sein. Oder habt Ihr den Mann mit Samthandschuhen angefasst?«
»Nein, habe ich nicht. Beruhigt Euch, Gunnar, dann will ich Euch helfen nachzudenken.«
Noch einmal stob der Berater des Erzbischofs im Raum auf und ab, dann setzte er sich schließlich auf den zweiten Sessel.
»Nun gut. Berichtet jedes einzelne Wort, dass Ihr aus ihm herausgeholt habt.«
Sie tat es, und die Räder seines Verstandes begannen zu laufen.
Vaganten. Wer hatte ihm letzthin etwas von Vaganten berichtet?
Der Ritter, der mit dem jungen Iddelsfeld losgezogen war, um die alte Klausnerin nach dem Verbleib des Buches zu befragen. Die wiederum hatte die Nachricht von einer der Dirnen erhalten, die von den Züchtigern in einem Gasthaus einquartiert worden war, um mögliche Abtrünnige unter den Erlösten ausfindig zu machen. In Gasthäusern wurde immer so viel geschwätzt.
»Schafft mir die Dirne herbei, die Euch von Hemma berichtet hat«, unterbrach er Brigittes Bericht.
»Natürlich.«
Auf ein Klingeln der Tischglocke huschte eine der Verschleierten herbei, bekam ihren Auftrag und verschwand wieder. Gunnar hörte sich weiter den Bericht über die Vernehmung an, bei dem die Mater Dolorosa immer wieder genüsslich bei den Quälereien verweilte, die sie ihrem Opfer zugefügt hatte. Diese Schilderungen befriedigten ihn ein wenig.
Dann brachte man die Dirne Nys zu ihnen. Und allmählich klärte sich die Situation. Nicht nur, dass die Alte sich in dem Gasthof »Zur Bischofsmütze« auf dem
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