Die Gefährtin des Vaganten
hatte.
»Unmöglich. Der Herr von Hane ist ein ehrenwerter Mann.«
»Hat er einen Bruder, Laure, der ihm ähnlich sieht?«
»Nein – weiß ich nicht. Es muss wohl so sein, nicht?«
»Der Ritter trägt ein Schwert, und der Brummbär wurde auch mit einem Schwert umgebracht«, sagte Paitze leise.
»Ich kann das nicht glauben. Hemma, verwechselt Ihr da möglicherweise etwas?«
»Nein, Kind. Dieser Mann war es. Mädchen, verlasst den Raum.«
»Ja, bringt den Korb in die Küche und beendet dort eure Arbeit.«
Melle und Paitze verschwanden mit den Hagebutten, Martine war wohl schon früher gegangen. Mühsam richtete Hemma sich auf.
»Du hast dein Herz in das Bild gelegt, Kind.«
Laure spürte, wie sie rot wurde. Hemma hatte viel zu scharfe Augen für ihr Alter.
»Er ist ein freundlicher Mann, er kommt hin und wieder vorbei, um ein Mahl einzunehmen. Zu den Kindern ist er nett. Sein Besitz liegt hier in der Nähe. Ihr müsst Euch täuschen.«
»Nein, ich täusche mich nicht. Er war es, der in meine Hütte eindrang, während ich Beeren sammelte. Der Wolf begleitete mich, und als ich zurückkehrte, hatte dieser Mann bereits alles durchwühlt und zerrissen. Er sah mich und zog das Schwert. Der Wolf griff ihn an, darum konnte ich weglaufen. Er verfolgte mich. Weiß der Himmel, was dem Wolf geschehen ist. Als ich an den Abhang von Uhlenbruch kam, hatte er mich eingeholt und stieß mich hinunter. Wahrscheinlich hielt er mich für tot, sonst hätte er sein Schwert doch noch eingesetzt.«
»Aber warum? Hemma, warum? Ihr besitzt nichts von Wert. Und erst recht nichts für einen Ritter.«
»Weiß man es? Ich habe den Mann nicht gekannt, aber ich habe auch damals die Männer nicht erkannt, die mich verjagt haben. Auch einen Ritter kann man zu Mord und Raub dingen, Laure. Ein Ritter hat seinen Eid geleistet. Weißt du, wem der Ritter von Hane die Treue geschworen hat?«
Laure schwieg. Nein, sie wusste es nicht. Sie wusste nur, was sie gesehen hatte. Noch einmal besah sie sich die Zeichnung. Treue, Ehre, Manneszucht – hatte sie es gesehen, oder hatte sie es selbst in das Bild hineingelegt?
Es verschwamm vor ihren Augen, und Trauer, Schmerz und Ekel wollten sich plötzlich dazugesellen.
»Hast du dich mit ihm eingelassen, Laure?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Aber du hast daran gedacht. Er ist ein gut aussehender Mann, und du bist eine junge, einsame Frau.« Hemma stöhnte, als sie sich bewegte.
»Wartet, ich mache es Euch bequemer.«
»Lass nur. Es geht schon. Sei vorsichtig, Laure. So oft ist vieles anders, als es scheint. Du kannst in den Gesichtern lesen, das hat dir schon immer viel geholfen. Aber die Wirrnis von Lust und Begierde kann den Blick trüben.«
Hemma blätterte weiter in dem Buch und betrachtete die Gesichter der Vaganten, die darin abgebildet waren.
»Er verbirgt auch etwas hinter seinem Bart«, murmelte sie.
»Magister Hagan, Melles Vater. Ja, er spielt uns etwas vor. Er ist nicht so weltfremd und trottelig, wie er sich gibt. Und dieser hier, der Piet, der ist kein Vagant. Die beiden sind mir unheimlich, Hemma. Aber die anderen sind ein heiteres Völkchen und sehr hilfsbereit.«
»Die Zwergin, sie ist vielleicht heiter und hilfsbereit, aber sie ist auch schlau. Sehr schlau, Laure.«
»Ich weiß nicht, was ich mit ihnen machen soll. Sie zahlen, ich kann sie nicht des Hofes verweisen.«
»Nein, das solltest du auch nicht. Beobachte sie einfach weiter.«
»Was soll ich tun, wenn der Ritter herkommt?«
»Schweigen, Laure.«
»Ich kann es nicht glauben …«
»Dann glaube es nicht. Aber schweig.«
Martine klopfte an der Tür, und Laure erhob sich.
»Ich muss unten nach dem Rechten sehen«, sagte sie und verließ den Raum.
Die Mädchen hatten die Hagebutten gesäubert und in Wasser eingeweicht, morgen würde sie das Mus herstellen, an diesem Tag blieb keine Zeit mehr. Elseken bewegte sich langsamer als sonst, und so half sie bei der Zubereitung des Abendessens. Suppe mit gewürzten Würsten köchelte im Kessel, eine Fleischpastete musste aufgeschnitten und der süß-sauer eingelegte Kürbis in die Schüsseln verteilt werden.
Die Mägde trugen Platten, Körbe, Krüge und Becher zu den Speisenden, und auch Laure half mit, die Gerichte zu verteilen. Aber sie war nicht bei der Sache. Viel zu sehr nagten die Zweifel und der Unglaube an ihr. Lothar von Hane – konnte dieser aufrechte Mann wirklich eine schutzlose alte Frau in den Tod hetzen? Selbst wenn er dazu beauftragt worden war –
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