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Die Gefährtin des Vaganten

Die Gefährtin des Vaganten

Titel: Die Gefährtin des Vaganten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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Erleichterung hatte Melle vernommen, dass die heilige Frau hier im Gasthaus Zuflucht gefunden hatte. Frau Laure kümmerte sich mit Inocenta und der stummen Magd um sie, und auch Jan und Paitze übernahmen oft die Krankenwache.
    Jan war ein bisschen hochnäsig. Oder vielleicht auch schüchtern ihr gegenüber, aber Paitze war ein nettes Mädchen. Sie hatten ziemlich schnell Freundschaft geschlossen. Und natürlich ging sie jetzt auch mit zu Frau Hemma, wo sie die Hagebutten putzen wollten.
    Die Einsiedlerin war nach zwei Tagen endlich wieder aufgewacht, hatte aber weiterhin gefiebert. Manchmal murmelte sie wirre Dinge vor sich hin. Immerhin, die alte Frau war fast siebzig Jahre alt und war zu Tode erschreckt worden, da mochte der Geist schon mal ein wenig durch­einander sein. Zumal sich die Ereignisse für sie wohl wiederholt hatten. Schon einmal war Hemma aus ihrer Klause vertrieben worden, noch bevor Paitze geboren worden war. So viel hatte Melle verstanden.
    »Sie ist heute ganz munter«, sagte Paitze, als sie die Stiege zur Kammer erklommen. »Sie klagt nicht viel, aber ich glaube, sie hat noch immer Schmerzen.«
    »Vielleicht kann sie uns heute mehr erzählen, was passiert ist.«
    Martine saß am Fenster und nähte, Hemma lehnte an den Polstern und lächelte erfreut, als Melle und Paitze eintraten.
    »Frau Laure sagt, du hast eine Salbe für meine Hände, Martine.«
    Melle wurde versorgt, dann widmete sie sich den Hagebutten.
    »Frau Hemma, ich habe überlegt«, sagte Paitze. »Könnte es sein, dass ein paar versprengte Kämpen der erzbischöf­lichen oder bergischen Truppen durch den Wald gezogen sind? Diese Söldner, wenn die so sind wie Alard und Curt, die machen sich wohl einen Spaß daraus, eine wehrlose Frau und ihre zahmen Tiere zu jagen. Das würde auch den Tod des Brummbären erklären.«
    »Nein, das war kein Söldner, Paitze. Der Mann trug ein Schwert.«
    »Auch Söldner können mit Schwertern umgehen. Ha, Frau Hemma, ich weiß was.«
    Paitze stand auf und ging zu der Truhe an der Wand. Sie brachte ein gebundenes Heft zu Frau Hemma, und Melle reckte den Hals, um zu sehen, was darin stand. Es war kein Text, stellte sie verwundert fest, sondern Zeichnungen von Gesichtern.
    »Macht meine Mutter, Melle, um sich die Leute zu merken. Aber das darfst du niemandem verraten. Schwörst du das?«
    »Ja, ja, natürlich. Bei der heiligen Ursula.«
    »Gut. Hier, Frau Hemma, vielleicht erkennt Ihr ja jemanden. Das da sind Curt und Alard, diese gräss­lichen Freunde von Goswin.«
    Melle fand Paitze ziemlich schlau.
    »Nein, die waren es nicht.«
    Frau Hemma blätterte weiter. Dann blieb ihr Blick auf einer Seite hängen, und sie lächelte.
    »Melle, oh, Frau Laure hat dich gut getroffen.«
    Melle sah sich das Bild an und zuckte zusammen. Bah, was hatte sie für einen sturen Ausdruck auf dem Gesicht.
    Paitze kicherte auch prompt.
    »Da hast du dich wieder mit dem Magister gezankt.«
    »Zankst du oft, Melle?«
    »Mit ihm schon. Er ist so ein Weichling. So ein Duckmäuser.«
    »Aber er ist dein Vater.«
    »Seit er sich darauf besonnen hat.«
    Hemma hatte weitergeblättert.
    »Hier hat sie ihn abgebildet«, sagte Paitze und wies auf ein Blatt.
    Die alte Frau sah es sich lange und gründlich an. Dann schlug sie die Seite um.
    »Da! Das ist er!«
    »Was?« Paitze fuhr auf. »Nein, bestimmt nicht, Frau Hemma. Das ist der Herr von Hane. Ritter Lothar von Hane. Der ist ein netter Mann.«
    »Zu mir war er nicht nett.«
    »Aber …«
    »Doch, doch, Paitze. Das war der Mann, der mich überfallen hat. Ganz gewiss!«
    Auch Martine war aufgestanden, schaute sich das Bild an und wurde leichenblass. Sie machte einen Schritt zurück, als könne das Bild plötzlich lebendig werden.
    »Du kennst ihn auch, Martine?«
    Die stumme Magd wedelte zittrig mit den Händen.
    Laure legte das Messer zur Seite, mit dem sie die Brote aufgeschnitten hatte, streckte sich und ging vor die Tür. Ein lauer Herbstwind ließ die Weinblätter an der Hauswand leise rascheln, die Trauben, die dazwischenhingen, wollte sie in den nächsten Tagen schneiden. Nicht um Wein daraus zu keltern: Sie würden zu Rosinen getrocknet werden.
    Melle war kein übles Ding, und die Gesellschaft ihrer Kinder schien ihr gutzutun. Altklug, das war sie, dreist auch manchmal, aber auch fleißig und gelehrig. Und dass sie ihr bei Hemma zur Hand ging, rechnete sie ihr hoch an.
    Hemma ging es besser, und sie trug ihre Verletzungen mit Fassung. Laure bewunderte sie für ihre Geduld

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