Die Gefährtin des Vaganten
Gefühle geweckt.
Die hielten ihn lange wach.
27. Eierragout
Melle war glücklich – zusammen mit Jan hockte sie an einem Bächlein im Wald und vergnügte sich damit, Flusskrebse zu fangen. Das hatte sie noch nie gemacht, aber Jan sagte, dass sie sich dabei ganz geschickt anstellte. Die Krebse versteckten sich nämlich gerne unter Steinen, und man musste schon ein gutes Auge haben, um sie zu erkennen.
Als ein Stiftsfräulein in einem Konvent dürfte sie solchen Lustbarkeiten bestimmt nicht nachgehen. Ihre Füße waren bloß, ihr Kittelsaum nass, die Ärmel aufgekrempelt, aber das Wetter im Oktober war noch einmal sommerlich warm geworden.
Sie ließ einen weiteren Krebs in den Lederbeutel fallen, und Jan reichte ihr einen neuen Köder.
Ein rauer Schrei schreckte die beiden auf.
»Was war das?«
»Ein Tier?«
»Nein«, flüsterte Jan. »Tiere jagen in der Dämmerung.«
Sie lauschten.
Irgendwo links von ihnen waren Geräusche zu hören. Blätterrascheln, ein Klirren. Wieder ein gedämpfter Schrei.
»Kannst du klettern?«
»Muss ich wohl.«
»Schnell. Ich helf dir.«
Jan verschränkte die Hände, sodass Melle den ersten Ast der Buche zu fassen bekam. Ein Schubs, und sie war oben. Jan sprang und zog sich an den Armen hinauf.
»Noch höher, Melle.«
Im Geäst ging es leichter. Fast drei Mannlängen waren sie schließlich über dem Erdboden, als die Geräusche näher kamen.
Hastige Schritte, Keuchen, wieder ein Klirren von Metall.
Ein Schrei, der in einem Gurgeln endete.
Melle klammerte sich an einem knorrigen Ast fest, und ihre Zähne klapperten vor Angst. Nein, das waren keine Tiere. Das waren auch keine Wilderer, die Tiere jagten. Das waren Männer im Kampf auf Leben und Tod.
Sie durften sie nicht sehen. Auf gar keinen Fall durften sie sich als Zeugen dieses Streites zeigen.
Wieder Keuchen, Trampeln, es kam näher. Da erspähte sie durch die Blätter die beiden Männer. Der eine war derjenige, der sie am Brunnen begrapscht hatte. Sein Gesicht war blutüberströmt. Dennoch schwang er eine nagelbesetzte Keule. Der andere wich aus. Sein rechter Ärmel war blutgetränkt. Mit der Linken führte er das Schwert.
Stampfen, Ausweichen – ein Stöhnen, als die Keule die Schulter streifte. Sie näherten sich dem Bach. Der Söldner sprang, rutschte auf den feuchten Blättern aus. Das Schwert blinkte auf.
Melle kniff die Augen zu. Der Schrei unten verlor sich in einem Röcheln.
Langsam öffnete sie die Lider.
Der Sieger dieses Kampfes stand schwer atmend über dem Toten. Dann sah er sich um, lauschend. Doch es herrschte Stille im Wald. Melle wagte kaum Luft zu holen. Auch von Jan war kein Laut zu hören.
Der Mann zog sein blutiges Schwert aus dem Leichnam und spülte es im Wasser ab. Anschließend legte er den Schwertgurt ab und nestelte umständlich sein Wams auf. Das Blut tropfte von seinem rechten Arm noch immer auf den Boden. Er legte nicht nur das Wams ab, sondern zerrte sich auch das Hemd vom Leib. Über der Schwertschneide trennte er einen Ärmel ab und wickelte ihn sich unbeholfen um die klaffende Wunde. Dann nässte er das Hemd im Bach und wusch sich das Blut ab.
Genau konnte Melle den Mann nicht erkennen, aber irgendwie kam er ihr bekannt vor. Sie unterdrückte das Gefühl des Mitleids. Er hatte gegen den Söldner, vielleicht auch dessen Kumpan gekämpft. Also waren die beiden seine Feinde. Frau Laure mochte sie auch nicht, und Piet hielt sie für brutale Mörder. Also musste der Kämpe dort unten ein Freund sein.
Jetzt drehte er sich noch einmal mit suchendem Blick um.
Auf seiner Brust, über dem Herzen, befand sich eine lange, dunkle Narbe.
Nein, keine Narbe. Ein Brandmal. In Form einer Dornenranke.
Heilige Ursula, jemand hatte ihm eine Dornenranke eingebrannt.
Melle schluckte. Sie wusste, wie weh Brandwunden taten.
Mühsam zwängte der Mann sich wieder in sein Wams und gürtete sein Schwert.
Und als Melles Blick auf die Schwertscheide fiel, entschlüpfte ihr ein leiser Laut.
»Psst!«, kam es von oben.
Sie biss sich auf die Unterlippe. Aber jetzt war ihr klar, weshalb der Mann ihr bekannt vorkam. Sie hatte sein Bild in Frau Laures geheimem Büchlein gesehen. Das Rankenmuster auf der Schwertscheide bestätigte ihr nun – es war der Ritter Lothar von Hane, der hier im Wald offensichtlich gerade Curt und Alard umgebracht hatte.
Laure hatte statt der vorgesehenen Flusskrebse ein Ragout aus hartgekochten Eiern hergestellt. In der Pfanne wurden sie eben mit in Schmalz angebratenen
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