Die Gefährtin des Vaganten
hat von einem Händler, der hier im Gasthaus einkehrte, ein Stückchen davon erstanden. Es heißt, dass diese wundertätige Reliquie ihren Besitzern die Erlösung verspricht.«
Sie goss ihm noch einmal den Becher voll, und diesmal stürzte Stephan ihn zur Gänze hinunter.
»Tut sie nicht. Tut niemand!«
Stephans Stimme wurde schon etwas undeutlich. Hagan hakte nach.
»Sie versprechen Erlösung, die verschleierten Damen, nicht wahr?«
»Ja, aber es gibt keine Erlösung von meiner Schuld. Es gibt keine. Ich habe gezahlt, damit ich einen Fürsprecher habe. Ich habe dem Allerheiligsten meine Opfer dargebracht, ich habe mich dem Bund angeschlossen und an den heiligen Riten teilgenommen.«
»Und Reliquien verkauft?« Piets Stimme klang wie Samt.
»Ja, ja sicher. Ich habe sie mitgenommen auf die letzte Reise. Sie sind mir aus der Hand gerissen worden.«
»Stoff, alter Stoff, nicht wahr?«, flüsterte Frau Laure verschwörerisch. Sie war ein wunderbares Weib. So niedlich und so hinterlistig!
»Ja, ein Fetzchen. Vom Grabtuch. Und ich habe alles, was es eingebracht hat, der Mater Dolorosa übergeben. Und dennoch … Es laschtet weiter auf meiner Seele. Gib keine Erlösung.« Er legte den Kopf auf die verschränkten Arme auf dem Tisch. »Gibbet nich. Auch der Pater kannich …«
»Und nun, meine Freunde, müssen wir seinen weingetränkten Leichnam auf ein Lager betten«, sagte Hagan.
»Ich hole einen von meinen Leuten. In solchen Dingen bin ich leider etwas hilflos, und Frau Laure wird uns sicher noch eine Decke bringen.«
»Ich bekomme den schon alleine weggeschleppt. Wohin, Frau Laure?«
»Besser zu Piet in die Scheune. Die Treppen hoch gibt’s nur Gepolter und Fragen.«
Dann packte doch Klingsohr mit an, und als Stephan mit zwei Decken in Heu gebettet war, kehrte Hagan noch mal in die Küche zurück. Laure rührte den Brei im Kessel um und Piet verteilte den Rest Wein aus dem Krug in die Becher.
»Da hast du aber einen leckeren Fisch aus dem Rhein gezogen, Hagan«, bemerkte er anerkennend. »Und Frau Laure hat ihn auf selten geschickte Art und Weise ausgenommen. Meine Hochachtung, Frau Wirtin, das war eine treffliche Extraktion der Wahrheit.«
»Er tat mir leid, Piet. Er ist ein von bösen Geistern Getriebener.«
»Die schwarze Galle macht ihm zu schaffen, wohl wahr«, sagte Hagan.
»Weshalb er nach Erlösung suchte.«
»Ja, Frau Laure. Und in die Fänge einer Mater Dolorosa geriet.«
»Der Name, Piet, weckt in mir dunkle Gefühle.«
»Die Schmerzensmutter. Und wie ich vermute, sind mit diesen Schmerzen nicht die der Gottesmutter gemeint. Ja, auch ich glaube, dass sich dahinter ein finsterer Abgrund auftut.«
»Was meint Ihr damit, Piet? Ich dachte, diese verschleierten Damen sind ein Konvent oder Stift.«
»So treten sie auf. Aber bei ihnen läuft offensichtlich das Geld aus dem Reliquienverkauf zusammen, und zwar eine beträchtliche Menge. Irgendetwas hat Stephan dazu herausgefunden, würde ich annehmen. Wissentlich oder unwissentlich, und deshalb haben sie ihre Häscher hinter ihm hergeschickt.«
»Wieso nehmt Ihr an, dass diese Damen das taten?«
»Sie werden gut beschützt, von kampferprobten Männern. Unter anderem ja auch dem Ritter von Hane.«
»Es besteht eine Verbindung zwischen den Töchtern der Nacht und den Verschleierten, welcherart auch immer. Genau diese werden von solchen Mordbuben überwacht, wie die, die hinter Stephan her waren. Ich könnte wetten, dass er heute Abend eine dieser Huren aufgesucht hat.«
»Wir werden es morgen aus ihm herausbekommen, Hagan.«
»Ja, für heute haben wir genug erfahren.«
Hagan, der sich an sein Gespräch mit Frau Bela erinnerte, war sich inzwischen beinahe sicher, dass diese Mater Dolorosa Hemmas Schwester Brigitte war. Doch das verschwieg er für den Moment. Laure hatte genug finstere Tatsachen schlucken müssen. Sie verhielt sich bewundernswert tapfer angesichts der Schaurigkeiten, die sie ihr anvertraut hatten. Erst wollte er mit der alten Einsiedlerin selbst sprechen, um Klarheit zu gewinnen.
»Euer Wein wärmt und macht gesprächig, Frau Laure, aber ich habe nun genau den Tropfen zu viel getrunken – jetzt macht er mich schläfrig. Gute Nacht.«
Er stand auf, und als er vor ihr stand, sah sie mit leicht geröteten Wangen zu ihm auf.
So niedlich.
Er strich ganz sacht mit dem Finger über ihre rosige Wange.
Sie zwinkerte.
Dann lächelte sie.
Er hätte sie gerne geküsst.
Der Wein hatte nämlich auch noch ganz törichte
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