Die Gefährtin des Vaganten
oder bewacht, je nachdem, wie man das betrachtet. Einer davon ist Lothar von Hane. Er ist heute in einen Kampf mit den Söldnern verwickelt worden, aber wir wissen nicht, ob sie ihn angegriffen haben oder ob er einen Grund hatte, sie aus dem Weg zu räumen.«
»Sie wildern im Bannwald.«
»Richtig, und der Sitz des Ritters liegt an seiner Grenze. Möglich, dass er sie deshalb verfolgt hat.«
»Es ist auch nicht auszuschließen, dass sie Hemmas Bären getötet haben.«
»Nein, auszuschließen ist es nicht. Aber es könnte dennoch von Hane gewesen sein, Frau Laure. Hauptmann Upladhin hat eine interessante Frage aufgeworfen. Frau Hemma war mit einem Johannes von Iddelsfeld verheiratet. Es könnte eine alte Fehde zwischen Hane und Iddelsfeld geben.«
»Der Herr von Iddelsfeld starb 1376 während des Schöffenkriegs.«
»Das ist lange her.«
»Zu lange für eine solche Rache. Sie hätte weit früher stattfinden können.«
»Bleibt der nächste Gedanke, Frau Laure. Und der wird Euch nicht schmecken. Der Ritter von Hane dient der Mater Dolorosa – so wird die Oberin des Konvents genannt. Wäre es nicht denkbar, dass zwischen ihr und Frau Hemma ein Streit besteht?«
Laure gefiel diese Frage wirklich nicht. Hemma war für sie immer eine aufrichtige und treusorgende Freundin gewesen, eine Raterin und Trösterin. Sie war vor allem aber eine Friedensstifterin, die Streit schlichtete.
»Nein, das kann ich nicht glauben. Aber wenn es Euch hilft, Herr Hagan, dann fragt sie selbst.«
»Glaubt Ihr, dass ich eine ehrliche Antwort bekomme?«
»Warum sollte sie lügen?«
»Weil, Frau Laure, wir beinahe ganz sicher sind, dass jene Mater Dolorosa ihre Schwester Brigitte ist.«
Fassungslos starrte Laure Piet an.
»Das ist un …«
Nein, das war möglich. Hemma hatte selbst gesagt, dass Brigitte nun einem eigenen Stift vorstand. Heilige Jungfrau Maria! Dann hatte sie ihr Eindruck doch nicht getrogen. Etwas lastete auf der Seele der Einsiedlerin. Ein tiefes Zerwürfnis zwischen den Schwestern, da Brigitte von neidischer Art war … Sie hatte ihr verziehen – aber vergessen hatte sie nicht.
»Ja, es herrschte Zwietracht zwischen den Schwestern«, sagte sie leise. »Große Zwietracht.«
Piet nickte und wandte sich an Stephan.
»Ihr habt die Mater Dolorosa kennengelernt. Beschreibt sie uns.«
Ein sichtliches Erschaudern ging durch van Horne. Aber er riss sich zusammen.
»Ich habe sie nur einmal gesehen. Sie ist ein beleibtes Weib, nicht mehr jung, sicher über fünfzig Lenze.«
»Sechs Jahre jünger als Frau Hemma«, flocht Laure ein.
»Ihre Haare sind noch schwarz, man sah es unter dem dünnen Schleier. Sie trug eine kostbare rote Robe. Und ihre Augen – sie machten mir Angst. Sie hat nichts gesagt, nur auf mich niedergeblickt.«
»Euer Büchlein, Frau Laure. Zeigt Stephan die Zeichnung von Frau Hemma. Vielleicht erkennt er eine Ähnlichkeit.«
Sie schlug die entsprechende Seite auf, und von Horne betrachtete das Bild.
»Ja, die Ähnlichkeit ist da. Auch wenn die Frau, die ihr gezeichnet habt, weit magerer ist. Es könnte sein.«
»So könnte also die Oberin den Ritter ausgeschickt haben, Frau Hemma zu schaden.«
»Das könnte sein. Nur – warum gerade jetzt? Hemma lebt seit über zehn Jahren unbehelligt in ihrer Klause.«
»Vielleicht hat sie es jetzt erst erfahren?«
»Das glaube ich kaum. Eher … es könnte sein, dass ihr jemand von dem Geheimbund berichtet hat, nicht wahr?«
»Auch das müssen wir sie fragen.«
Eine Weile schwiegen sie, jeder in seine eigenen Überlegungen versunken. Schließlich räusperte Hagan sich und meinte: »Fassen wir zusammen. Eine gut durchdachte Organisation von Huren, Priestern und Zuhältern rekrutiert wohlhabende Männer, vielleicht auch Frauen, um sie einem Geheimbund zuzuführen, der von der Mater Dolorosa geleitet wird. Die wiederum verkauft den Leichtgläubigen Erlösung und Stücke vom Grabtuch, das diese wiederum gewinnbringend unter die Leute bringen. Eine Organisation, die vornehmlich auf Geldeinnahmen spezialisiert ist.«
»So hat es den Anschein.«
»Richtig, so hat es den Anschein. Aber es muss mehr dahinterstecken. Ich kann nicht glauben, dass diese Mater Dolorosa den Schwindel alleine aufgebaut hat. Denn jemand, der Einfluss auf die Priester und Wanderprediger hat, hat seit Anfang des Jahres dafür gesorgt, dass die Geschichte des Grabtuchs überall verbreitet wurde. Gleichzeitig werden Mumia, Aloe und Myrrhe knapp. Diese Dinge sind aufgekauft
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