Die gefangene Braut
leer. Er war wirklich tot. Erst jetzt weinte sie, und ihre Tränen flossen hemmungslos, als sie auf die Schaffelle hinunterblickte, die noch gestern seine Bettstelle gewesen waren und auf denen jetzt niemand mehr lag. Sie ließ sich auf die Knie sinken und berührte den weichen Schafspelz. Sie hatte eine große Zuneigung zu Yasir gefaßt, und jetzt war er einfach nicht mehr da.
Sie spürte, daß Amine ihre Arme um sie legte und ihr wieder auf die Füße half. Sie brachte sie zurück in ihr Zelt und hielt sie im Arm, bis Christinas Tränen versiegt waren.
»Scheich Yasir ist heute nacht im Schlaf gestorben. Rashid hat ihn heute am frühen Morgen tot vorgefunden, und er und Scheich Abu haben ihn in die Wüste gebracht, um ihn dort zu begraben.«
»Aber warum hat man mir nicht eher etwas davon gesagt?« fragte Christina.
»Das ist eine Privatangelegenheit zwischen Söhnen und ihrem Vater. Scheich Abu wollte dich nicht beunruhigen.«
»Wo ist Abu jetzt?« fragte Christina, denn sie wußte, wie er sich jetzt fühlen mußte. Sie erinnerte sich an den Schmerz, den sie empfunden hatte, als sie ihre Eltern verloren hatte. So seltsam es auch sein mochte, aber sie wollte Philip trösten, ihn in die Arme nehmen und seinen Kummer mit ihm teilen.
»Als Rashid ins Lager zurückkehrte, sagte er, Abu sei in die Wüste hinausgeritten, und dann – ist Rashid auch wieder fortgeritten.«
Christina erwartete geduldig Philips Rückkehr. Sie bemühte sich, sich zu beschäftigen, um nicht an Yasir zu denken, aber es war unmöglich. Immer wieder sah sie sein Gesicht vor sich und das Strahlen, das auf seine Züge trat, wenn sie in sein Zelt kam. Immer wieder hörte sie seine Stimme, die liebevoll von Philip sprach.
Der Mond schwebte hoch über den Bergen und warf einen zarten grauen Lichtschein durch den Wacholder, von dem das Lager umgeben war. Philip stand niedergeschlagen am Feuer und wärmte seine matten Glieder.
Er war den ganzen Tag lang durch die Wüste geritten, ehe er sich mit Yasirs Tod abgefunden hatte. Jetzt hielt er es für das beste, daß es dahin gekommen war. Yasir war sein Leben lang ein tatkräftiger Mann gewesen, und die Monate, die auf seine Krankheit gefolgt waren, hatten ihn zu einem Invaliden gemacht, der sich nicht mehr frei bewegen konnte.
Philip wünschte, man hätte ihm einen längeren Zeitraum mit Yasir zugestanden, aber er war dankbar für die Jahre, die er an seiner Seite verbracht hatte. Er konnte viele erfreuliche Erinnerungen an diese Zeit in die Zukunft hinüberretten, denn Yasir und er hatten einander nähergestanden als üblich zwischen Vätern und Söhnen; sie waren gute Freunde gewesen und hatten vieles gemeinsam erlebt.
Philip war an Körper und Seele erschöpft und sehnte sich danach, Christina dicht neben sich zu spüren. Er ging direkt in sein Schlafzimmer, doch er fand es leer vor. Die verschiedensten Gefühlsregungen zogen nacheinander über sein Gesicht – Elend, Zorn und Bedauern, als er sich fragte, warum sie sich ausgerechnet diesen Zeitpunkt für ihre Flucht hatte aussuchen müssen.
Verdammt noch mal, wieviel Leid wird noch über mich hereinbrechen, ehe dieser Tag zu Ende ist? dachte er. Er drehte sich um und stürzte aus dem Zimmer; dabei fragte er sich, wie groß Christinas zeitlicher Vorsprung wohl sein mochte. Eine zarte Stimme ließ ihn stehenbleiben, ehe er den Zelteingang erreicht hatte.
»Bist du das, Philip?«
Philip fühlte sich, als sei eine schwere Last von seiner Brust genommen. Er ging langsam auf das Sofa zu. Christina hatte sich auf einen Ellbogen gestützt und ihre Füße unter einer schweren Decke aus Schafsfell angezogen. Sie blickte besorgt zu ihm auf.
Er setzte sich neben sie und sah, daß diese Augen rotgeweint waren. Sanft legte sie ihre Hand auf seine Hände.
»Es tut mir leid, Philip«, sagte sie.
»Es ist jetzt wieder gut, Tina. Ich werde eine Zeitlang trauern, aber das Schlimmste ist vorbei, und ich muß mein Leben weiterleben.«
Ein forschender Blick in Christinas Augen sagte ihm, daß auch sie trauerte. Er hatte nicht gewußt, daß sie sich soviel aus Yasir machte. Philip zog sie in seine Arme und drückte sie zart an sich, als sie wieder anfing zu weinen.
In den Tagen, die darauf folgten, herrschte eine seltsame Form von Trauer im Lager. Alle fröhlichen Rufe und jedes laute Gespräch waren aus dem Alltag verbannt.
Amine versuchte auf ihre Art, Christina aufzuheitern. Christina war dankbar, eine Freundin zu haben, mit der sie reden konnte. Wenn
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