Die gefangene Braut
sich an ein neues Leben gewöhnt.
Sie hatte sich daran gewöhnt – sich sogar zu sehr daran gewöhnt. Und sie spürte eine Furcht und eine Leere in ihrem Herzen bei dem Gedanken, Philip vielleicht nie wiederzusehen. Das war schlimmer als der Schmerz in ihrem geschwollenen Gesicht, den sie bei jedem Schritt emp-
fand, den das Pferd zurücklegte. Sie schloß die Augen, um sich vor all dem Elend zu verschließen, und irgendwie gelang es ihr, einzuschlafen.
Der Klang von Stimmen ließ Christina die Augen wieder aufschlagen. Sie wurde vom Pferd gehoben. Sie fragte sich, was geschehen war, bis sie die vielen neuen Gesichter um sich herum sah und die Stiche in ihrem Gesicht spürte. Die Sonne war aufgegangen, und es herrschte eine sengende Hitze, die durch den Sand verstärkt wurde und sie zwang, eine Hand über die Augen zu halten, um etwas sehen zu können.
Ehe Christina in ein kleines Zelt gebracht wurde, sah sie sich im Lager um. Sie befanden sich in einer Wüstenoase. Zwei riesige Palmen ragten über sechs kleinen Zelten auf, und sie konnte Ziegen, Schafe und Kamele sehen, die auf einem Streifen Gras hinter ihr weideten. Als sie im Zelt waren, dauerte es einen Moment lang, bis Christinas Augen sich an das Dunkel gewöhnt hatten. Dann sah sie einen alten Mann, der allein auf einem Kissen hinter einem niedrigen Tisch saß, auf dem in mehreren Schalen Essen stand.
Der alte Mann hatte noch keinen Blick in ihre Richtung geworfen. Er aß ungestört, und daher sah Christina sich in dem Zelt um. Einige Kissen waren auf dem Boden verstreut, und an einer Seite stand eine Truhe, aber nirgends gab es Stühle oder Teppiche.
Als Christina den alten Mann wieder ansah, tauchte er seine Finger in eine kleine Wasserschale, wie sie selbst es viele Male nach einem Essen mit Philip getan hatte. Jetzt sah er sie an, und seine braunen Augen wurden beim Anblick ihres geschundenen Gesichtes groß vor Zorn. Sie zuckte zusammen, als er mit der Faust auf den Tisch schlug und sämtliche Schalen klapperten.
Er trug einen farbenprächtigen Kaftan und eine kufijah, und sie stellte fest, daß er barfuß war. Als er aufstand, schien er nicht größer als sie zu sein, doch seine Stimme gebot Achtung.
Er sprach so grob mit dem jungen Mann, der bei Christina war, daß sie schloß, er müsse der Scheich dieses Stammes sein. Ein hitziger Wortwechsel entspann sich zwischen den beiden, aber Christina konnte nichts verstehen, und dann führte der junge Mann sie hinter einen Vorhang in einer Ecke des Zeltes.
Dort hatte sie kaum genügend Platz, um sich hinzulegen. Ein Schaffell lag auf dem Sand, auf das Christina gelegt wurde. Dann wurde sie allein gelassen.
Wenige Minuten später schlug eine alte Frau die Vorhänge zurück und brachte ihr ein Tablett mit einer großen Schale Essen und einem Glas Wein. Die Frau stellte das Tablett in den Sand, drückte Christina ein nasses Handtuch in die Hand, deutete auf ihr Gesicht und ließ Christina wieder allein.
Sie wusch sich mit dem Handtuch das Gesicht, aber um ihre schmerzhaft geschwollenen Augen herum konnte sie nicht jeden Schmutz entfernen. Das Essen war fett, aber zum Glück war es zart, denn auch das Kauen war schmerzhaft. Der Wein schmeckte köstlich, aber sie spürte eine ganz seltsame Müdigkeit, als sie das Glas ausgetrunken hatte. Christina bemühte sich nach Kräften, wachzubleiben, um auf das vorbereitet zu sein, was als nächstes passieren würde, doch es gelang ihr nicht, die Augen offenzuhalten, und sie konnte auch nicht mehr zusammenhängend denken, und im nächsten Moment war sie fest eingeschlafen.
Als Amair Abdalla die Frau in Scheich Ali Hejaz' Zelt zurückließ, gab er Cassim Bescheid, daß Scheich Ali ihn zu sprechen wünsche, ehe er direkt zum Zelt seines Vaters ging. Er empfand keinerlei Mitleid mit Cassim, denn ganz gleich, was ihm bevorstand – er hatte es sich selbst zuzuschreiben. Scheich Ali war noch wütender, als Amair es erwartet hatte, und Cassim würde für das, was er getan hatte, wahrscheinlich sterben.
»Ist alles glatt gelaufen, Amair?« fragte sein Vater, Cogia Abdalla, als Amair das Zelt betrat, das sie gemeinsam bewohnten.
»Ja, Vater, alles ist verlaufen wie geplant«, erwiderte Amair voller Abscheu. Er setzte sich auf das Schaffell, das ihm als Bett diente, und griff nach dem Weinschlauch aus Ziegenfell, der daneben lag. »Aber eins sage ich dir – mir paßt nicht, was mir hier befohlen worden ist. Diese Frau hat niemandem etwas getan, und es ist nicht
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