Die gefangene Braut
müssen Komplimente von den Damen gewöhnt sein«, sagte sie schelmisch.
»Nicht direkt. Ich bin es gewohnt, Komplimente zu machen, nicht sie zu bekommen«, sagte John lachend.
»So spricht ein wahrer Gentleman. Aber Sie haben zugelassen, daß ich schon wieder weiterplappere. Wenn Sie jetzt bitte im Salon warten, gehe ich zu Kareen und sage ihr, daß Sie hier sind.«
»Danke, und es war mir ein Vergnügen, Sie kennengelernt zu haben, Miß Estelle.«
»Dasselbe kann ich ganz entschieden auch von Ihnen behaupten, Lieutenant Wakefield. Aber ich bin sicher, daß wir uns wiedersehen«, fügte sie hinzu, ehe sie im Korridor verschwand.
Wenige Minuten später tauchte Kareen in der Tür auf, und sie war so schön, wie er sie in Erinnerung hatte.
»Ich dachte, meine Schwester erlaubt sich einen Scherz, als sie sagte, Sie seien hier«, sagte sie. »Gelegentlich tut sie solche Dinge. Aber warum sind Sie schon so früh hier, Lieutenant Wakefield?«
»Kareen – ich weiß, daß wir uns erst zum zweitenmal sehen, aber würden Sie mich bitte John nennen?« fragte er, und er legte seinen gesamten Charme in dieses Ansinnen.
»Einverstanden, John«, sagte sie lächelnd. »Aber was führt Sie hierher?«
»Ich weiß nicht so recht, wie ich es Ihnen sagen soll«, sagte John, und er wich ihren forschenden Blicken aus. Er trat an das offene Fenster, verschränkte die Hände hinter dem Rücken und schaute ins Freie. »Sie sind erst seit einem Monat hier, Kareen, aber Sie wissen vermutlich von dem Verschwinden meiner Schwester?«
»Ja, mein Onkel hat es mir erzählt, als ich erwähnte, daß ich Sie kennengelernt habe«, erwiderte sie.
»Christina ist in unserer ersten Nacht in Kairo aus ihrem Hotelzimmer entführt worden. Christina und ich haben einander sehr nahe gestanden. Ich habe sie überall gesucht und vor Sorge um sie fast den Verstand verloren. Doch heute ist zu zurückgekehrt – heute morgen.«
»John – das ist ja wunderbar! Ich freue mich so für Sie. Fehlt ihr auch nichts?«
Er drehte sich zu ihr um und sah, daß sie sich wirklich für ihn freute.
»Es geht ihr gut, aber ich habe bisher noch keine Gelegenheit gehabt, auch nur ein Wort mit ihr zu reden. Sie ist fast eine Woche lang geritten, und jetzt schläft sie. Ich wollte Ihnen das erst erzählen, damit Sie verstehen, warum ich Sie heute abend nicht in die Oper begleiten kann. Ich muß da sein, wenn Crissy aufwacht.«
»Selbstverständlich verstehe ich das, und ich danke Ihnen für Ihre Erklärung. Kann ich Ihnen in irgendeiner Form behilflich sein?«
»Es ist nett, daß Sie das fragen, Kareen. Vielleicht könnten Sie sie in ein paar Tagen besuchen. Ich weiß noch nicht, wie leicht ihr die Eingewöhnung fallen wird, nachdem sie endlich wieder da ist. Ich kann nur beten, daß sie in der Lage sein wird, dieses schreckliche Erlebnis zu vergessen.«
»Ich bin sicher, daß es ihr mit der Zeit wieder gutgehen wird, John«, erwiderte Kareen.
»Das hoffe ich auch.«
Christina schlief jetzt seit zwölf Stunden. Es war fast Mitternacht, und John ging ungeduldig im Salon auf und ab. Es gab so viele Dinge, die er wissen mußte. Er wollte sich nicht in dem Augenblick, in dem sie erwachte, gleich auf sie stürzen, aber er brauchte Antworten. Es gab wirklich Dinge, die er unbedingt wissen mußte. Würde Crissy noch dieselbe sein, oder hatten diese letzten vier Monate sie verändert?
John öffnete leise ihre Tür. Aber Crissy lag immer noch zusammengerollt da und hatte eine Hand unter ihrem Kopf liegen. Langsam betrat er das Zimmer und blieb neben dem Bett stehen. Er blickte auf sie hinunter, wie er es im Lauf des Abends schon so häufig getan hatte.
Sie hatte nicht abgenommen, und sie machte einen gesunden Eindruck, wenngleich sie schmutzig war. Sie trug einen Rock und eine Bluse nach Art der Wüstenbewohner. Doch beides war aus edlem grünen Samt gefertigt und mit Borten aus Spitze eingesäumt. Sie sah aus wie eine arabische Prinzessin.
In ihrem Brief hatte sie geschrieben, daß es ihr an nichts fehlte. Dieser Mann mußte gut für sie gesorgt haben. Und gerade das gab John Rätsel auf, denn er fragte sich, wie ein Mann, der sie erst einmal hatte, sie wieder gehen lassen konnte. Christina war von ganz außergewöhnlicher Schönheit. Etwas war anders an ihr – auffallend und doch unbeschreiblich – etwas, was sie von allen anderen Frauen abhob, die als schön bezeichnet wurden.
Plötzlich schlug Christina die Augen auf, zwinkerte ein paarmal und fragte sich
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