Die gefangene Braut
süßlicher Stimme. »Ich habe hier auf dich gewartet, damit ich dich allein sprechen kann. Warum machst du nicht die Tür zu und kommst zu mir? Das ist viel gemütlicher.«
»Das wird kaum nötig sein – du bleibst nämlich nicht lange hier. Ich habe nicht die Absicht, mich aus diesem Haus werfen zu lassen, weil du deine Spielchen mit mir spielen willst, Estelle.«
Christina wollte nicht länger zuhören, aber sie konnte sich nicht abwenden.
»Ich spiele keine Spielchen, Philip Caxton! Ich bin hierhergekommen, weil ich eine Antwort will. Liebst du Christina noch? Ich habe ein Recht darauf, es zu erfahren.«
»Liebe! Was hat denn Liebe damit zu tun? Ich habe sie damals begehrt, genauso, wie ich heute dich begehre«, sagte Philip mit äußerst wenig Gefühl in seiner tiefen Stimme.
»Dann bedeutet sie dir also nichts mehr?« fragte Estelle.
»Christina ist die Mutter meines Sohnes – das ist alles. Und jetzt muß ich dich bitten, zu gehen, Estelle, ehe dich jemand hier findet. Wenn du das nächste Mal mit mir allein reden willst, dann such dir einen angemesseneren Ort dafür aus.«
»Ganz wie du willst, Philip«, kicherte Estelle, die offensichtlich sehr zufrieden mit sich war. »Sehe ich dich beim Mittagessen?«
»Ich komme bald runter.«
Christina setzte sich auf ihre Bettkante und fühlte sich, als sei ihr ein Messer ins Herz gerammt worden. Sie war am Verhungern gewesen, aber jetzt konnte sie nicht mehr ans Essen denken. Sie mußte dieses Haus verlassen!
Christina zog ihre Reitkleidung an, ließ sich Dax satteln und ritt, bis ihr die Tränen kamen. Sie trieb Dax zu immer größerer Eile an. Sie hätte ihrem Leben ein Ende bereitet, wenn Philip junior nicht gewesen wäre. Sie konnte ihr Baby nicht allein lassen. Aber sie mußte der Tatsache ins Auge sehen, daß sie Philip nach wie vor liebte und ihn niemals mehr haben würde. Das mußte sie akzeptieren, und Freude schenkte ihr das Kind. Tommy liebte sie, und vielleicht würde sie eines Tages eine gewisse Zufriedenheit an seiner Seite empfinden.
Es war schon seit zwei Stunden dunkel, als Christina endlich nach Hause kam und alle ihr besorgt im Korridor entgegenkamen.
Christinas Kleider waren zerrissen, weil sie wie eine Wilde durch den Wald geritten war. John war wütend und stellte ihr viele Fragen.
»Ich bin ausgeritten, und das ist alles. Und niemand sollte besser als du meine Gründe kennen!« fauchte Christina ihn an.
»Crissy, ich möchte dich allein sprechen«, sagte John, der erkannte, daß Philips Anwesenheit in diesem Haus Christina mehr Sorgen machte, als er für möglich gehalten hatte.
»Heute nicht, John. Ich bin zu müde.«
Er folgte ihr die Treppe hinauf. »Ich kann ihn wegschicken, wenn du willst, Crissy.«
»Nein, John, das ist nicht nötig. Ich komme von jetzt an mit seiner Gegenwart in diesem Haus zurecht.« Sie wußte selbst nicht, ob sie die Wahrheit sagte.
32
Es war der fünfte Tag des neuen Jahres, und das Jahr war 1885. In der letzten Woche war Wakefield Manor ein Pulverfaß gewesen. Tommy haßte Philip, und Estelle bedachte Christina mit verächtlichen Bemerkungen. Alle warteten nur darauf, daß es zu einer Explosion kommen würde.
Wenn Christina gegen ihren Willen mit Philip allein war, schien er sich ausschließlich für sein Kind zu interessieren, und mit keinem Wort erwähnte er vergangene Zeiten. Er behandelte Christina höflich und kühl, spielte mit seinem Sohn, und wenn es an der Zeit war, daß Christina ihn stillte, verließ er taktvoll das Zimmer. Das verblüffte Christina am meisten.
Christinas größtes Problem war Tommy. Er war sehr fordernd, seit Philip eingetroffen war. Ständig drängte er Christina, einen Termin für ihre Eheschließung festzusetzen, doch bisher hatte sie es vermieden, sich festzulegen.
Doch heute konnte Christina sich endlich über etwas freuen.
Kareen kam zu ihr ins Eßzimmer.
»Estelle hat sich endlich entschlossen, nach Hause zu fahren – sie ist gerade oben und packt«, sagte sie.
Christina sagte kein Wort, obwohl sie vor Freude am liebsten an die Decke gesprungen wäre.
»Auch wenn sie meine Schwester ist und ich sie sehr lieb habe«, fuhr Kareen fort, »muß ich zugeben, daß ich froh über ihre Abreise bin. Aber es wundert mich, daß sie jetzt fährt – und sie sagt mir ihre Gründe nicht. Noch gestern habe ich versucht, sie zu einer Abreise zu überreden, und sie hat sich strikt geweigert. Heute morgen ist sie dann mit Philip ausgeritten, und nach ihrer Rückkehr hat
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