Die Gefangene des Highlanders
Marian wurde klar, dass Braden MacDean nach einem Plan handelte. Er hatte sie nicht zufällig gefangen genommen – Braden wollte sein Land zurück, und dazu war ihm jedes Mittel recht. Auch eine gewaltsame Entführung.
Dann wird er mich auch nicht töten, dachte sie erleichtert. Zumindest nicht gleich. So lange er mich als Faustpfand gefangen hält, hat er Vater in der Hand.
Sie konnte sich lebhaft vorstellen, wie wütend ihr Vater auf sie war. Falls sie jemals wieder zurück zur Burg ihres Clans gelangte, würde er sie so verprügeln, dass sie tagelang nicht mehr sitzen konnte. Oder er würde sie ins Verlies sperren und dort bei Wasser und Brot sitzen lassen. Schlimmer noch: er würde sie zwingen, Graham MacBoyll zu heiraten.
Ein leiser Seufzer im Hintergrund ließ sie aufhorchen.
„Aisleen?“
Wieder keine Antwort. Marian rutschte ein Stück zurück, drehte sich auf den Rücken und setzte sich auf. Wie schwierig das war, sich mit gefesselten Gliedern zu bewegen. Außerdem schnitten ihr die Riemen in die Handgelenke, so dass die Hände langsam taub wurden.
Ein neuer Seufzer war vernehmbar, dieses Mal klang es fast nach einem leisen Wimmern. Marians Gewissen meldete sich wieder.
„Hör zu Aisleen: Ich habe dich hereingelegt, das stimmt. Aber ich habe das nur getan, weil man mich hier gegen meinen Willen festhält. Versteh doch: Es galt nicht dir … Und es tut mir eigentlich sehr leid ...“
Warum schwieg sie immer noch? Marian – gerade eben noch reumütig und fast zerknirscht – wurde jetzt schon wieder ärgerlich. Verdammt noch mal, sie hatte sich entschuldigt. Wieso erhielt sie darauf keine Antwort? Was wollte diese nachtragende Person eigentlich noch hören?
„Bist du stumm?“, schimpfte sie in die Dunkelheit hinein. „Ich rede mit dir, Aisleen. Ich versuche dir zu erklären, dass …“
Jetzt war ganz deutlich ein Stöhnen zu hören, leise und gepresst, als habe Aisleen sich alle Mühe gegeben, es zu unterdrücken.
„Bist du etwa krank? Bis du vorhin hingefallen, als du mir hinterhergelaufen bist? Hast du dich …“
Marian hielt inne, denn die Erkenntnis fuhr ihr wie ein Blitz durch den Kopf. Oh Himmel, wie hatte sie nur so dumm sein können? Aisleen hatte Wehen – sie würde ihr Baby bekommen, ausgerechnet in dieser Nacht.
Sie rutschte auf den Knien quer durch den Raum, stieß dabei einige Töpfe um und schmierte sich die Herdasche an ihr Kleid. Das Talglicht war längst erloschen, doch durch die Ritze zwischen den Türbrettern drang ein schwacher, weißlicher Mondstrahl in den dunklen Raum.
Aisleen lag, in ihren Mantel eingewickelt, zusammengekrümmt auf der Seite, eine große, dunkle Masse, die leise zitterte. Marian konnte ihr Gesicht nicht erkennen, doch sie hörte ihr heftiges Atmen.
„Mach dir keine Sorgen, ich bin bei dir“, flüsterte sie. „Ich weiß, wie es geht, Fia, meine Schwester, hat auch ein Kind bekommen.“
Sie verschwieg Aisleen, dass Fias Kind viel zu früh und tot zur Welt gekommen war. Fia war bei dieser Geburt beinahe gestorben. Nur die Tränke und Umschläge der alten Sorcha hatten sie am Leben erhalten.
„Wenn du mir die Hände losbindest, kann ich dir helfen.“
Aisleen rührte sich nicht, vermutlich hatte sie nicht die Absicht, den gleichen Fehler zum zweiten Mal zu begehen. Dabei hatte Marian dieses Mal wirklich nicht vor, davonzulaufen. Wie auch – die Turmruine war von einer Horde Männer umgeben, sie hatte nicht die mindeste Chance, ungesehen zu entkommen. Von Braden einmal ganz abgesehen.
Jemand schob die Bretter an der Tür beiseite und betrat den kleinen Raum. Es war Swan. Leise stöhnend tastete er nach dem Feuerstahl, schlug ihn gegen den Stein und entfachte ein neues Talglicht, das die Unterkunft sogleich mit beißendem Rauch erfüllte. Swan hielt seine linke Hand in den Wassereimer und sog zischend die Luft durch die Zähne ein. Vermutlich war ihm ein Steinbrocken auf die Finger gefallen.
„Aisleen bekommt ihr Kind“, vermeldete Marian. „Sag Braden, dass er mir die Hände losbinden soll, sonst kann ich ihr nicht beistehen.“
„Großer Gott!“
Swans Gesicht verzog sich zu einer angstvollen Grimasse. Er warf einen scheuen Blick auf seine bewegungslos daliegende Schwester und stürzte hastig hinaus. Nicht lange danach tauchte Rupert auf, ging ohne sich um Marian zu kümmern zu seiner Tochter und hockte sich neben sie auf den Boden. Marian konnte das leise Gemurmel des Alten nicht verstehen, aber sie begriff, dass er das Mädchen
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