Die Gefangene des Highlanders
undicht und musste geflickt werden. Auch im Turm tröpfelte es an der Wetterseite, und sie mussten das schmale Fensterchen mit Holz und Werg zustopfen, damit es drinnen trocken blieb. Missmutig sah sie zu, wie Aisleen sich mühte, ein Feuer zu entfachen und dann den Topf aufstellte – das Baby quengelte, aber Aisleen erledigte erst ihre Arbeiten, bevor sie ihr Kind aufnahm und es stillte. Marian wickelte sich in ihren Mantel und lief hinaus in den Regen.
In der Halle hatte Braden trotz des undichten Dachs mit den Übungen begonnen, unbarmherzig forderte er die jungen Burschen auf, die Sprünge zu wiederholen, rascher zu werden, die Kraft der Muskeln zu stärken. Die angehenden Ritter waren schlechter Laune, einer rutschte in einer Pfütze aus und schlug hin, die anderen lachten ihn aus und wurden dafür von Braden getadelt. Auch Marian bezog von ihm einen unfreundlichen Blick, der ihr besagte, dass sie als Zuschauerin momentan wenig willkommen sei. Beleidigt lief sie davon, stieg die Stufen zur Mauer hinauf und stellte fest, dass der Himmel weit hinten über dem Wald bereits aufriss.
Er war zornig über ihre Absage, das war ganz offensichtlich. Wahrscheinlich würde er ihr am Abend die Hölle heiß machen und wissen wollen, weshalb sie eigentlich seine Burg verteidigt und ihn gepflegt hatte, wenn sie anschließend seine Hand zurückwies. Warum tat sie sich das an? Was hielt sie hier noch? Er hatte gesagt, sie sei frei.
Sie wandte sich um und lief in plötzlichem Entschluss hinüber zu den Pferden, warf den Sattel über den Rücken ihres Wallachs, legte ihm das Zaumzeug an und stieg auf. Die Bauern, die sich gegen den Regen Häute aufgespannt hatten und um ein schwach flackerndes Feuer saßen, blickten erstaunt zu ihr hinüber, einer deutete mit dem Finger auf sie, andere zuckten die Schultern und drehten die Köpfe zur Halle, wo der Clanchief mit den Jungen zugange war. Rupert erhob sich, zog sich den Überwurf über den Kopf und lief durch den Regen zur Halle hinüber.
Marian kümmerte sich nicht weiter darum, sie stieß dem Wallach die Fersen in die Seiten und hielt auf das Burgtor zu.
„Wohin, Lady Marian?“
Der Torwächter musste sich die Augen wischen, da das Regenwasser ihm aus dem Haar über die Stirn lief.
„Einen Ausritt machen.“
„Bei diesem Wetter?“
„Drüben wird’s schon hell!“
Der Torwärter zögerte. Die Lage war ruhig, die Späher hatten gemeldet, dass David MacAron böse Schmerzen an den Gelenken habe und im Moment nicht daran dächte, einen neuen Angriff zu unternehmen.
„Reitet nicht zu weit, Lady“, sagte er unsicher und hob den schweren Balken an, der das Tor verriegelte. Marian ritt auf die Heide hinaus und blinzelte in die schmalen Sonnenstrahlen, die durch die Regenwolken drangen. Über dem Wald wölbte sich ein riesiger, bunter Regenbogen.
Es war ein befreiendes Gefühl, über die Heide zu galoppieren, dem Wallach die Zügel zu lassen und zu spüren, wie das Tier sich unter ihr streckte. Der Boden war weich, hatte viel Wasser aufgesaugt, daher trieb sie das Pferd nicht weiter an, ließ es einfach laufen, solange es Lust hatte und ritt dann in raschem Schritttempo in den Wald hinein.
Grünliche Dämmerung umfing sie, der feuchte Waldboden roch nach Pilzen, Laub und moderndem Holz. Wassertröpfchen rannen über das Blattwerk, liefen an den Stämmen herab, klatschten auf ihre Schultern und den Rücken des Wallachs. Marian trieb ihr Reittier immer tiefer in den Wald hinein, bog dann von dem breiten Weg ab um auf schmalen, selten begangenen Pfaden bis zum Gebiet ihres Vaters zu gelangen.
Sie hatte es endlich geschafft. Ade Braden MacDean – sollte er andere Frauen unglücklich machen, sie würde sich von jetzt ab alle Mühe geben, ihn zu vergessen.
Die ersten, wärmenden Sonnenstrahlen drangen durch das Geäst und ließen Moos und Farne am Boden aufleuchten. Ein Knacken im Gezweig erschreckte sie, und sie zügelte den Wallach, dann erkannte sie, dass sie ein Rudel Rehe aufgescheucht hatte und wartete, bis die braunen Leiber dicht vor ihr zur anderen Seite des Pfades gewechselt hatten. Noch folgte sie lächelnd den schlanken Tieren mit den Blicken, da nahm sie plötzlich einen dunklen Schatten wahr, der sich von jenseits des Pfads auf sie zu bewegte. Ein Reiter kam ihr entgegen, ein großer, kräftiger Bursche, ausgerechnet hier, wo kein Ausweichen möglich war. Marian wappnete sie, um sowohl dummen Fragen als auch tätlichen Angriffen so gut als möglich zu
Weitere Kostenlose Bücher