Die Gegenpäpstin
sagte er und schaute stur auf die Straße.
Während der zehnminütigen Fahrt sagte sie kein Wort. Padrig erschien ihr Schweigen schlimmer, als wenn sie ihn geohrfeigt
hätte.
Etwa dreihundert Meter vor der Einfahrt zu einem Park hielt er den Wagen an und stieg aus. Sarah folgte ihm.
Es war ein kalter, klarer Tag. Die Kleingartenkolonie, die einem Schild nach einer großen Wohnanlage weichen sollte, machte
einen trostlosen und verlassenen Eindruck. Padrig, der dicht vor Sarah herging, blieb stehen und schaute sich nach ihr um,
dabei verfolgte er ihre Blicke, die zaghaft die Umgebung scannten. Er hätte sie gerne bei der Hand genommen, aber solch eine
intime Geste getraute er sich nicht.
Der provisorische Kamin der kleinen Hütte qualmte still vor sich hin. Ein verwitterter Gartenzwerg direkt neben der Brettertür
grinste sie mit einem zahnlosen Lächeln an. Überall lag Müll herum.
Padrig klopfte die Losung an die Eingangstür, und kurz darauf öffnete Milan mit einem überraschten Grinsen.
»Heiliger«, rief er freudig, und seine zuvor müden Augen leuchteten auf. »Mit dir hätten wir jetzt am wenigsten gerechnet.
Hast du was zu essen bei dir? Die Sachen, die du uns vorgestern gebracht hast, haben wir schon gegessen.« Er achtete gar nicht
auf Sarah, sondern plapperte einfach weiter. »Pete geht’s schlecht. Er hat vielleicht eine Lungenentzündung, wir wollten ihn
nicht |297| alleine lassen. Wow!« sagte er, als ihm plötzlich auffiel, daß Padrig nicht allein gekommen war. »Geile Braut! Gehört sie
dir?«
Padrig lächelte schwach. »Sie ist eine Freundin.« Das Wort Freundin ging ihm merkwürdigerweise leicht über die Lippen, und
doch warf er Sarah einen prüfenden Blick zu, bevor er sich hinunterbückte, um durch die niedrige Tür in die Hütte zu gelangen.
Er achtete nicht auf die Jungs, die in den Ecken lagen und frierend den Tag abwarteten, um bei Nacht auf Beutezug zu gehen
– für irgendwelche skrupellosen Erwachsenen, die sie zum Taschendiebstahl und zu Einbrüchen anstifteten.
Sarah hockte sich zu einem ganz jungen Kerlchen hin. Der Junge war vielleicht acht oder neun. Sie war versucht ihm über seine
braunen, verfilzten Locken zu streicheln. Er schlief eingewickelt in ein paar Lumpen und nuckelte am Daumen wie ein hungriges
Neugeborenes.
»Was ist mit ihm?« fragte sie, während sie besorgt zu Padrig hinsah.
»Er ist müde. Sonst nix«, beantwortete Milan die Frage. »War die ganze Nacht draußen. Mit ein paar anderen hat er Alarmanlagen
gecheckt und ob Hunde in den Vorgärten herumlaufen.«
»Allmächtiger.« Sarah sah Padrig mit entsetzten Augen an, gerade so, als ob er all das Elend der Welt auf seinen Schultern
tragen würde und niemand bereit wäre, ihm diese Verantwortung abzunehmen.
»Ja«, sagte er mit einem unfrohen Lachen. »Gott wäre nicht schlecht in dieser Angelegenheit. Ich frag mich oft, warum er es
zuläßt, daß Menschen am Rande der Gesellschaft leben müssen. Aber vielleicht ist es das, was er uns sagen will: Nicht Gott
ist verantwortlich für soviel Ungerechtigkeit. Ihr seid es selbst, die die Welt zum Guten verändern könnt.« Er zückte ein
Bündel Geldscheine. Fünfziger, Zwanziger und Zehneuroscheine.
»Hier«, sagte er und streckte die unverhofften Gaben dem verdutzt dreinblickenden Jungen hin.
|298| »Kommst du nicht wieder?« Milans Augen weiteten sich, während er das Geld rasch in seine Jackentasche schob.
»Nein«, erwiderte Padrig und senkte den Kopf. »Ich muß zurück. Ich werde dir kein Geld mehr geben können, weil ich kein eigenes
Geld mehr haben werde. Werdet ihr zurechtkommen?«
»Wir haben’s bisher ohne dich geschafft«, sagte der Junge trocken. »Dann wird’s auch in Zukunft klappen. Du bist ein guter
Typ, anders als die anderen.«
»Na dann.« Padrig fiel es unendlich schwer, all dem Elend den Rücken zu kehren.
»Du kannst die Jungs doch nicht einfach so zurücklassen!?« Sarah packte ihn fest am Arm, als sie zum Wagen zurückkehrten.
»Was soll ich tun?« fragte er ruppig. »Regine von Brest hat mich gefeuert, und ich kann von Glück sagen, daß Kommissar Hellriegel
mich nicht in Untersuchungshaft nehmen läßt. Er hat vollkommen recht, wenn er sagt, sobald man mir eine Straftat nachweisen
kann, können mich die Briten zurück ins Gefängnis stecken.«
Ihr Blick hatte etwas von einer angriffslustigen Katze. »Was hat dein persönliches Schicksal mit dem der Kinder zu tun? Sie
sind
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