Die Gegenpäpstin
krank, sie hungern und frieren und sind allem Anschein nach kriminell. Sie brauchen jemand, der sich um sie kümmert.«
»Niemand hindert dich daran, dich zu kümmern«, erwiderte Padrig mit einem provozierenden Unterton. »Im übrigen haben Regine
und ihre Ordensschwestern genug Geld, den Jungs zu einem anständigen Dach über dem Kopf zu verhelfen.«
»Gut«, erklärte Sarah entschieden. »Ich werde dafür sorgen, daß jemand den Kindern hilft.«
Padrig schaute sie dankbar an.
»Und jetzt?« Sarah sah ihn herausfordernd an, während er den Wagen startete.
»Ich fahre in die Wohnung«, antwortete er. »Ich werde packen.«
|299| »Nimmst du mich mit? Meine gesamten Sachen sind noch in dem Apartment.«
Wenig später fuhren sie in die Einfahrt des luxuriösen Apartmenthauses. Padrig parkte den Wagen im Hof und sah sie an. »Glaubst
du mir?«
»Ja«, sagte Sarah und nickte. »Aber ich frag mich immer noch, warum du das alles getan hast. Ich meine, ich hatte eine Vorstellung
von einem verantwortungsbewußten Menschen, der aufrichtig durchs Leben geht, als ich dich kennenlernte. Warum hast du diese
Vorstellung mit einem Schlag zerstört?«
Er zog den Wagenschlüssel ab und legte den Kopf seufzend zurück. »Es ist eine lange Geschichte. Sie hat etwas mit unglaublicher
Dummheit und mit abgrundtiefer Loyalität zu tun.« Er spürte, daß sie auf eine weitere Erklärung wartete. »Laß uns reingehen,
dann erzähle ich dir alles.«
Sarah wollte keinen Wein, nur ein Wasser, und während sie sich auf der Wohnzimmercouch niederließ, zog sie noch nicht einmal
ihre Jacke aus.
Padrig setzte sich ihr gegenüber auf einen Sessel. Seine Haltung blieb angespannt. Plötzlich fühlte er sich wieder auf der
Flucht.
»Ich war an der Vorbereitung eines Anschlages der IRA auf einen protestantischen Lokalpolitiker in Nordirland beteiligt«,
begann er, ohne Sarah anzuschauen. »Anfang der neunziger Jahre. Er war Vater von fünf Kindern und wurde von einer Autobombe
zerfetzt. Ich hatte zuvor seine Gewohnheiten ausspioniert. Ein Jahr danach wurde ich auf den Hinweis eines Undercoveragenten
geschnappt. Ich war erst Anfang Zwanzig. Zehn Jahre zuvor hatte der Mann meinen Vater an die Briten verraten. Ich hatte kein
Mitleid mit ihm, als ich hörte, daß meine Leute ihm einen Denkzettel verpassen wollten, und somit traf mich die Last meiner
Schuld viel schwerer, als wenn es ein Unbekannter gewesen wäre.« Er stockte einen Moment, in der Hoffnung, daß Sarah verstand,
was damals in ihm vorgegangen war.
|300| »Man hat mich zu fünfzehn Jahren Haft verurteilt. Ich hatte die Strafe verdient, aber für einen jungen Kerl, der noch nichts
von der Welt gesehen hat, ist ein solches Urteil die Hölle. Die Haftbedingungen waren furchtbar. Einzelhaft. Du mußt um jedes
Stück Seife betteln. Ein Buch ist ein kostbarer Schatz, und du bekommst es nur, wenn du dich gut geführt hast. Ein falsches
Wort, eine unvorsichtige Geste, und sie nehmen dir alles, woran dein Herz hängt.«
Sarah hörte ihm aufmerksam zu, und vielleicht war es das, was ihn tröstete.
»Bruder Andrew, ein alter Franziskanerpater, kam einmal die Woche, um den katholischen Häftlingen die Beichte abzunehmen.
Er war der einzige Mensch, mit dem ich reden durfte. Ich nannte ihn Vater, und genau das war er mir auch. Er hat es fertiggebracht,
daß ich mehrere Fernstudiengänge absolvieren durfte, und am Ende meiner Haftzeit war ich mehrsprachig und hatte ein Theologiestudium
abgeschlossen. Die Franziskaner haben alles bezahlt. Und so war es für mich, nachdem ich vorzeitig aus der Haft entlassen
wurde, eine Selbstverständlichkeit, dem Orden beizutreten, um etwas von all dem zurückzugeben, was man mir gegeben hatte.«
»Dann hast du also Regine und die Frauen für deinen Orden ausspioniert?«
»Nein«, erwiderte Padrig mit einem unfrohen Lächeln. »Nicht für den Orden, für den Vatikan. Dazwischen liegen Welten. Einer
der Kardinäle hat mir sozusagen die Pistole auf die Brust gesetzt. Er ist unglaublich mächtig und entscheidet mit darüber,
ob jemand zum Bischof ernannt wird oder ob ein Orden eine Kirchengemeinde verwalten darf. Und er hat mir unmißverständlich
klargemacht, daß ich der Kirche was schuldig bin.«
Sarahs Blick spiegelte Entsetzen. »Wie kann das möglich sein? Er ist ein Christ?«
Padrig lächelte dunkel. »Es waren Christen, die den Kreuzzug |301| erfunden haben. Es waren Christen, die die Inquisition
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