Die Gegenpäpstin
ergriff Mirjams fiebrige Hand und streichelte sie sanft. »Wir dürfen nicht aufgeben.
Jetzt nicht und in tausend Jahren nicht. Ganz gleich, wie lange es dauert.«
Dann begannen die ersten fünfzig Männer und Frauen den Eingang zur Höhle frei zu machen. Mit einer geheimen Vorrichtung öffneten
sie unterhalb des Ziegenstalls den Abgang zur Stadt, die gegründet worden war, nachdem Jeschua nach seiner Auferstehung einigen
seiner Jünger genau hier erschienen war.
Wenigsten war Mirjam nun nicht mehr allein, und die Frauen, junge und alte, kümmerten sich in aufopfernder Fürsorge um ihr
Wohlergehen. Man schlug ihr ein Lager auf, tief unten im Stein, wo langgezogene Gänge zu wohnlichen, mehrstöckigen Höhlen
und Nischen führten. Ja, sogar eine Mikweh war vorhanden, ein Tauchbecken, wo die Frauen ihre rituellen Waschungen vornehmen
konnten. Kostbares Wasser rann aus zahlreichen Quellen durch das Kalkgestein in einen unterirdischen Speicher, |307| dessen Rohrleitungssystem man sich von den Römern abgeschaut hatte.
Zug um Zug wurde Proviant beschafft, unauffällig aus den umliegenden Ortschaften, bis gesichert war, daß sie hier auf Wochen
hinaus überleben konnten.
|308| 35.
März 2007 – Rosenkrieg
Bei seiner Rückkehr am Flughafen Rom-Fiumicino rief Padrig unverzüglich Pablo Mendez an und teilte ihm mit, daß er enttarnt
worden war. Obwohl Mendez außer sich war vor Empörung und Sorge und sein sofortiges Erscheinen verlangte, beschloß Padrig
zunächst einmal, nach Hause zu fahren, in die Ordenszentrale in der Via Santa Maria Mediatrice.
»Für die nächsten zwölf Stunden möchte ich niemanden sehen«, schloß er das Telefonat mit dem Erzbischof.
Padrig hastete durch die Flure des Wohnheims der Franziskaner in Rom. Der Geruch von Bohnerwachs stach ihm in die Nase und
widerte ihn an. Das Gefühl, ein weiteres Mal in seinem Leben benutzt worden zu sein, erfüllte ihn mit Scham. Am liebsten hätte
er sich unsichtbar gemacht, und noch viel weniger war er bereit, Auskunft zu erteilen, nachdem er von zwei jungen Brüdern
aufgehalten wurde, weil sie wissen wollten, wo er sich die letzten zwei Wochen aufgehalten hatte.
Er öffnete die Tür zu seinem Zimmer, das niemals verschlossen war, und warf seine Reisetasche in die nächste Ecke. Dann entledigte
er sich in wütender Entschlossenheit seiner Designer-Schuhe und des zerknitterten Anzuges, Sinnbild für eine Welt, in die
er nicht hineingehörte und mit der er sich nie wieder verbünden würde. Nackt wie ein Sünder, der vor das Angesicht Gottes
trat, begab er sich unter die Dusche, drehte den Wasserhahn auf. Selbst als es kurz darauf unangenehm heiß wurde, reagierte
er nicht. Während seine Tränen sich mit dem Wasser vermischten, schloß er seine Augen und lehnte sich erschöpft an die gelben
Kacheln.
Nachdem er sich abgetrocknet und seinen gewohnten Habit angezogen hatte, fühlte er sich halbwegs wohl in seiner Haut. Er schaute
hinaus über die Dächer von Rom in einen trostlosen, verregneten |309| Tag und dachte an Sarah. Trauer stieg in ihm auf, als ob jemand verstorben wäre. Wie sehr vermißte er diese Frau! Doch um
nichts in der Welt hatte er das Recht, ihre Liebe zu gewinnen. Er warf sich rücklings auf sein Bett, das wie immer ordentlich
gemacht war. Ein weißes Kopfkissen, eine Wolldecke und ein leinenes Übertuch. Mit einem Mal verfluchte er alles, was ihm noch
vor kurzem so heilig gewesen war. Sein Blick kroch die hohen, kahlen Wände empor, die die karge Klause unvermittelt in einen
Gefangenenturm verwandelten, aus dem es augenscheinlich kein Entrinnen gab. Mit geschlossenen Augen konnte er Sarah spüren,
wie sie warm und weich in seinen Armen lag. Er würde sie an sich drücken, sie nie mehr loslassen, ganz gleich, was auch geschah.
Lieber Gott,
flehte er,
hilf mir, daß ich sie vergessen kann.
Er spürte seine Tränen und atmete schwer.
Und wenn dir das nicht gelingt, verdammt, dann gib sie mir zurück. Nichts ist unmöglich. Nicht für dich. Denk ja nicht, ich
hätte das vergessen.
Erst am nächsten Morgen fühlte er sich trotz einer schlaflosen Nacht stark genug, seinem Auftraggeber, Kardinal Lucera, unter
die Augen zu treten. Doch zuvor lief er zwischen fünf und sechs Uhr morgens in alter Gewohnheit am Tiber entlang. An einem
Kiosk fiel sein Blick auf die Morgenzeitungen. Er sah das Foto des israelischen Archäologieprofessors auf der ersten Seite,
der angeblich von arabischen
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