Die Gegenpäpstin
Ephesus ausreichend von der hellenistischen Lehre beeinflußt, in der Frauen selbst als Göttinnen akzeptiert
wurden. Dort kam niemand auf die Idee, den Frauen wie Mirjam die |238| christliche Lehrerlaubnis abzuerkennen, geschweige denn sie zu verfolgen, nur weil sie nicht in ein vorgefertigtes Bild paßten.«
Padrig sah sie erstaunt an. »Weiß man, wer die Schriften verfaßt hat?«
»Nach allem, was ich herausgefunden habe, könnte es Jaakov von Nazareth gewesen sein.«
Schulter an Schulter saß Padrig neben ihr und starrte auf den Bildschirm. »Wo befinden sich die originalen Pergamente?« fragte
er sichtbar beeindruckt.
»Sie wurden gestohlen, ebenso wie dieser wertvolle Chanukkaleuchter, den ich am Kopf des Sarkophages der Frau gefunden habe.«
Sarah klickte ein Foto an, das sie von dem kostbaren Leuchter erstellt hatte. »Von den Pergamenten besitze ich leider nur
noch Kopien.«
»Das könnte ein Problem werden«, erklärte Padrig. »Organisationen wie der Vatikan verlangen im Zweifel nach originalen Beweisen.
Kannst du dir vorstellen, die Gläubigen würden sich mit dem Turiner Grabtuch zufriedengeben, wenn es lediglich in einer Kopie
vorhanden wäre?«
»Wenn sie Beweise brauchen, kriegen sie den Zahn.«
»Welchen Zahn?«
»Na ja, den Weisheitszahn der Mirjam von Taricheae. Durch die Untersuchung des Zahns hat Aaron unsere gemeinsame Verwandtschaft
festgestellt.« Sarah kramte in ihrem Rucksack und zog eine Styroporschachtel hervor
»Du trägst den Zahn der heiligen Maria Magdalena mit dir herum?« Padrigs Brauen schossen in die Höhe, als sie ihm einen schneeweißen
Backenzahn präsentierte.
»Es ist nur ein Zahn«, gab sie lakonisch zurück.
»Nur ein Zahn.« Er schüttelte den Kopf. »Was denkst du dir eigentlich? Wenn Leute wegen eines Stoffetzens, von dem sie noch
nicht einmal wissen, ob er tatsächlich das Haupt Jesu abbildet, um den halben Globus reisen, was würden sie anstellen, |239| wenn sie wüßten, daß du einen Zahn mit dir herumträgst, der zu den sterblichen Überresten von Maria Magdalena gehört?« Er
grinste breit. »Du bist eine ziemlich respektlose Person, weißt du das?«
»Was glaubst du«, erwiderte sie mit einem provozierenden Augenaufschlag, »liegt es in der Natur der Männer, die Frauen zu
unterdrücken?«
Er schaute sie verwundert an.« Nein, aber vielleicht haben manche Männer Angst, ihre Macht zu verlieren. Oder daß Frauen stärker
sein könnten als sie selbst.«
»Seitdem ich mit diesen Schriften arbeite«, erklärte Sarah, »ist mir klargeworden, daß Jesus ein ziemlich fortschrittlich
denkender Mann gewesen sein muß. Für ihn gehörte es offenbar zur Grundlage des Christentums, daß die weibliche Hälfte der
Menschheit nicht nur die gleichen Rechte genoß, nein, er hielt diese Tatsache sogar für unerläßlich. In seiner Lehre kann
die Welt nur heil werden, wenn Männer und Frauen an einem Strang ziehen und sich gegenseitig unterstützen.«
Sie schwieg für einen Moment und nahm einen weiteren Schluck Wein. Er streichelte ihr selbstvergessen über den Arm.
»Es war ein harter Tag«, sagte sie und klappte den Laptop zu.
Dann erhob sie sich, und Padrigs enttäuschter Blick verriet sein Bedauern über ihren unvermittelten Aufbruch.
»Schlaf gut«, sagte er. »Ich werde aufpassen. Mach dir keine Sorgen.«
»Danke«, erwiderte sie leise und drückte ihm einen Kuß auf die Wange, »für alles.«
|240| 28.
62 n. Chr. – Tod und Teufel
Rasch hatte sich die Ankunft der Männer unter der Christengemeinde von Jeruschalajim herumgesprochen. Am Abend traf man sich
im großzügigen Obersaal eines prunkvollen Hauses, das in unmittelbarer Nähe zum Tempelbezirk lag und einem reichen Stoffhändler
gehörte, der vor Jahren den christlichen Juden um Jaakov beigetreten war. Das Haus ersetzte an manchen Tagen die Synagoge
und machte es möglich, daß auch noch nicht getaufte Anwärter an Versammlungen teilnehmen konnten, ohne gegen mosaische Gesetze
zu verstoßen.
Nahezu einhundert Anhänger Jeschuas, Männer, Frauen und Kinder, eilig herbeigerufen aus der Umgebung der Stadt, bevölkerten
den Raum. Man wollte zusammen das Brot brechen und den Weinkelch zur Erinnerung an Jeschuas Heilsverkündigung kreisen lassen,
obwohl sich aus Gründen der Sparsamkeit und zum Ärger von Paulus nur gereinigtes Wasser darin befand.
Jaakov las aus der Thora vor, und selbst die Kleinsten hockten still auf dem Schoß ihrer Eltern, als er
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