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Die Gegenpäpstin

Titel: Die Gegenpäpstin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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anschließend seine
     sonore Stimme zum Gebet erhob.
    Plötzlich brachen die großen Flügeltüren auf, und sechs martialisch gerüstete Wächter des Tempels marschierten herein, stellten
     sich in furchteinflößendem Spalier zu den Gläubigen auf und wandten ihre Häupter in einer zackigen Geste dem weit geöffneten
     Eingang zu.
    Jaakov hatte wie alle Anwesenden erschrocken innegehalten, und nun mußte er hinnehmen, daß Hannas ben Hannas, seines Zeichens
     Hohepriester und Hausherr des Tempelbezirks, auf ihn zurauschte wie ein Orkan. Das wehende Gewand ganz in Weiß mit goldener
     Borte besetzt, dazu ein farbiges Brustschild mit Edelsteinen verziert, trug er einen prächtigen Hut, der aus jedem Gnom |241| einen Riesen gemacht hätte. Seine dunklen, buschigen Augenbrauen verrieten nichts Gutes, und seine nach unten gezogenen Mundwinkel
     ließen die stark gebogene Nase, die sein fliehendes Kinn überragte, noch länger erscheinen. Zehn Fuß vor Jaakov, der auf seinem
     Schemel saß und wie versteinert die Thorarolle in der Hand hielt, machte der Hohepriester abrupt halt, und nach einem Fingerschnippen
     traten zwei seiner Schergen hervor und entrollten dicht vor ihm eine Papyrusrolle.
    »Jaakov ben Josef«, begann Hannas II. krächzend, wobei er vergeblich versuchte, seiner Stimme einen feierlichen Klang zu verleihen.
     »Du bist angeklagt, gegen die heiligen Gesetze verstoßen zu haben, indem du die Regeln des Shabbats mißachtet hast, und darüber
     hinaus wirst du verdächtigt, Unzucht mit der Frau deines Bruders Jeschua getrieben zu haben.«
    Ein Raunen ging durch die Menge. Jeder wußte, daß Mirjam die einzige noch lebende Schwägerin des Jaakovs war; man vermutete
     aber allgemein, daß sie sich im fernen Antichochien in Sicherheit befand.
    »Mein Bruder ist tot«, verteidigte Jaakov sich selbst, und dabei war ihm klar, daß jeglicher Widerstand eine Bestätigung der
     Anklage mit sich bringen konnte. »Gerichtet und gekreuzigt durch das Urteil deines Vaters, Hannas I.«, fuhr er scheinbar gleichmütig
     fort. »Und damit ist Jeschuas Ehefrau eine Witwe.«
    »Wenn man eurer Lehre glauben darf«, erklärte Hannas II. in scharfem Ton, »ist dein Bruder längst wieder auferstanden und
     weilt somit noch unter den Lebenden. Also ist es fraglos eine Sünde, wenn du Mirjam von Taricheae bei dir aufnimmst, sie beherbergst
     und das Bett mit ihr teilst.«
    Jaakov schaute Paulus an, der kaum merklich den Kopf schüttelte, was soviel zu bedeuten hatte, daß er die Anwesenheit Mirjams
     in Jaakovs Hütte nicht verraten hatte.
    Atemlose Stille lag in der Luft, als Jaakov zur Antwort ansetzte. »Wie kommt ihr überhaupt darauf, daß eine der meistgesuchten |242| Frauen Judäas ausgerechnet bei mir Unterschlupf gefunden haben soll?«
    Der Hohepriester lächelte matt und schnippte abermals mit seinen edelsteinberingten Fingern. Begleitet von zwei Wachen, trat
     ein junger Kaufmann herein, den Jaakov nur zu gut kannte, weil dessen Onkel ein Priester der Pharisäer war, der im Tempel
     neben Sadduzäer und Judenchristen gleichrangig seinen Dienst versah. Vor Wochen hatte Mirjam dem Burschen gegerbtes Ziegenleder
     abgekauft, damit sie darauf die Briefe für ihre Tochter schreiben konnte.
    Danach war sie im Beisein des Kaufmanns plötzlich zusammengebrochen, und Jaakov hatte sie mit dessen Hilfe in sein eigenes
     Bett verfrachtet. Vielleicht war der Junge wegen all dieser Begebenheiten auf sie aufmerksam geworden und hatte seinem Vater
     von seiner seltsamen Kundschaft erzählt.
    Der herbeigezerrte Zeuge der Anklage sah unglücklich aus, und nachdem er Jaakov nur einen Moment mit Blicken gestreift hatte,
     richtete er sein Augenmerk voller Unsicherheit auf den Boden.
    »Stimmt es, daß die Frau im Bett dieses Mannes gelegen hat und daß sie auf den Namen Mirjam hörte?«
    Der junge Kaufmann nickte verhalten, wobei er den Hohepriester nicht ansah.
    Hannas brüllte ihn an: »Ich will klar und deutlich hören, was du zu sagen hast, hier und vor allen Anwesenden!«
    Zaghaft beschrieb der Neffe des Pharisäers das Aussehen der Frau, und jeder, der bisher noch gezweifelt hatte, begriff, daß
     es tatsächlich Mirjam von Taricheae sein mußte, die nunmehr unter dem Dach des Jaakov lebte und sogar in dessen Bett schlief.
     Die Tatsache, daß sie mittlerweile hoch betagt und offensichtlich krank war, minderte kurioserweise den Verdacht der Hingabe
     an die fleischliche Wollust nicht, sondern nährte lediglich die Vermutung, daß

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