Die geheime Braut
die schwarze Griet«, sagte sie, »und führe das Frauenhaus am Elstertor. Ganz oben gibt es eine geheime Dachkammer, in die hat der Patron, dem das Haus gehört, dieses Mädchen gesperrt, an Händen und Beinen gefesselt und mit einem Knebel im Mund stumm gemacht. So hilflos hat er sie zurückgelassen. Nicht viel hätte gefehlt, und sie wäre dort elend verendet. Bitte helft uns!«
»Was faselst du da? Und was scheren mich eure verderbten Händel?«, belferte Luther. »Wer in die Hölle hinabsteigt, der wird auch dem Teufel begegnen. Mit euresgleichen habe ich nichts zu schaffen. Das habe ich von der Kanzel gepredigt – nichts anderes sage ich dir jetzt auch mitten ins Gesicht. Verschwindet!«
»Und wenn in jener Dachkammer riesige Buchstaben an die Wände gemalt wären«, sagte Griet. »Mit Blut geschrieben?«
»Mit Blut?« Luther zögerte, zog einen Schemel heran und ließ sich darauf nieder. »Wie kommst du darauf? Kannst du denn überhaupt lesen?«
»Mit Blut kenn ich mich aus, das dürft Ihr mir glauben, auch wenn ich weder Wehmutter bin noch Medicus«, versi cherte Griet. »Und was Lesen und Schreiben betrifft – dafür reicht es gerade. Habt Ihr ein Stück Papier?«
Muhme Lene schlurfte davon und kam mit dem Gewünsch ten zurück.
»An der einen Wand steht das.« Griet malte ein krakeliges M auf das Papier. »Allerdings mit Strichen aus frischerem Blut durchkreuzt.«
»M«, wiederholte Luther nachdenklich. »Und handelt es sich tatsächlich um Blut?«
Mit Griet zu sprechen fiel ihm sichtlich schwer. Seine Augen blickten misstrauisch, und die Hände waren abwehrend erhoben, als müsste er sich vor ihr schützen.
»Zweifelsfrei«, sagte Griet. »Sonst wäre ich jetzt nicht hier. Sagt, hieß die Tote vom Elbufer nicht Margaretha? Im Frauenhaus haben sie alle tagelang darüber geredet.«
»Ja, so lautete ihr Name. Margaretha Relin«, bekräftigte die Muhme, die neugierig näher gerückt war. »Die junge Frau des Apothekers. So schöne rotblonde Locken hat sie gehabt – und ein so freundliches Wesen!«
»An der anderen Wand steht das hier geschrieben.« Griets D war deutlich besser gelungen. »Ebenfalls mit Blut und ebenfalls durchgestrichen.«
»Und du bist dir ganz sicher?«, fragte Luther kopfschüt telnd. »Ich kann es noch immer nicht glauben.«
»Ja, das bin ich«, bestätigte Griet.
»Glaubt es ruhig, denn es gibt noch mehr davon«, sagte Marlein plötzlich, die bislang geschwiegen hatte. »Beidseits des Fensters steht zweimal das hier geschrieben.« Sie nahm den Stift in die Hand und malte ein großes K auf das Papier. »Ohne Striche. Vielleicht wollte er die ja noch ziehen, nachdem er meine Leiche beseitigt hat …« Sie begann erneut laut zu weinen.
»Du sprichst von diesem – Patron?«, fragte Luther. Seine Stimme hatte ihre anfängliche Schärfe verloren. Jetzt war sie leise, klang besorgt.
Marlein nickte.
»Er wird mich töten«, schluchzte sie auf. »Das weiß ich ganz genau, denn ich habe ihm doch im Streit die Maske vom Gesicht gerissen. So wütend ist er deshalb geworden, dass ich Angst bekam, er würde mich mit bloßen Händen auf der Stelle erwürgen. Stattdessen hat er mich gefesselt und eingesperrt. Obwohl darunter – da war gar nichts …«
»Er trägt eine Maske?«, fragte Luther.
»Aus Metall«, ergänzte Griet. »Bislang habe ich ihn niemals ohne sie gesehen. Ich dachte immer, es sei eine Narbe oder sonstige Entstellung, die er damit verbergen will. Aber Marlein sagt, da sei nichts. Wieso hat er sie dann auf?«
»Nur ein … Gesicht«, flüsterte das Mädchen unter Tränen. »Ein ganz normales Gesicht.«
»Du würdest ihn wiedererkennen?«, fragte Luther.
»Diesen Teufel?«, fuhr Marlein auf. »Aber ganz gewiss. Unter Hunderten!«
»Und dann muss ich Euch noch das hier zeigen.« Griet öffnete das Kästchen, das sie auf den Tisch gestellt hatte. »Das stammt ebenfalls aus der Dachkammer.«
Zwei lockige Haarsträhnen, wüst abgesäbelt, die eine rötlich blond, die andere mehr aschfarben. Sie gehörten zu zwei verschiedenen Frauen, das war offensichtlich.
Toten Frauen?
Muhme Lene schlug die Hand vor den Mund. Hansis Augen wurden riesengroß. Luther fuhr sich über den Kopf, als müsse er Ordnung in sein Gehirn bringen.
»Wie bist du überhaupt dort hineingelangt?«, fragte er schließlich. »Falls auch nur ein Funke von dem stimmt, was ihr beide behauptet, und dieser ›Patron‹ die blutigen Buchstaben tatsächlich an die Wand gemalt hat, so hätte er doch
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