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Die geheime Braut

Die geheime Braut

Titel: Die geheime Braut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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Schmerzen auf der Stelle vergessen ließ.
    »Steh auf!«, sagte sie zu Marlein und drückte das Kästchen an ihre Brust. »Schnell! Wir haben nicht viel Zeit.«
    Sie drängte das Mädchen aus der Kammer, sperrte hinter ihm wieder sorgfältig zu. Dann half sie ihr die Treppe hinunter.
    »Ich muss trinken«, flüsterte Marlein mit glasigen Augen. »Sonst verdurste ich.«
    »Gleich!« Griet führte sie in ihre Kammer. »Für den Moment musst du dich allerdings mit kaltem Tee begnügen.«
    Marlein griff nach dem Krug, setzte ihn an und trank, bis er leer war.
    »Und essen?«, fragte sie.
    »Später. Zieh dich erst aus!«, befahl Griet. »Vollständig. Hier, nimm eines meiner Kleider. Es wird schon gehen.«
    Sie selbst streifte sich hastig ein Kleid über das verschwitzte Hemd und fegte das weiße Gewand mit einem Fußtritt unter ihr Bett.
    »Was hast du vor?«, fragte Marlein, die zwar gehorchte, aber in dem für sie viel zu weiten Kleid halb verschwand. »Mir ist so schwindelig. Als würde ich gleich stürzen. Außerdem möchte ich mich waschen.« Trotz ihrer Schwäche schielte sie an sich hinunter. »In dem Fetzen sehe ich ja aus wie eine Vogelscheuche!«
    »Und wenn schon!«, murmelte Griet. »An dem Ort, an den ich dich jetzt bringen werde, empfängt man dich hoffentlich auch so.«
    »Aber was, wenn er zuvor zurückkommt?« Marleins Tränen flossen erneut. »Wird er dann uns beide töten? Du kannst dir nicht vorstellen, was er mit mir gemacht hat!«
    »Das wirst du mir alles erzählen«, sagte Griet, die sich selbst nur mit allergrößter Mühe auf den Beinen halten konnte. »Und zwar unterwegs. Jetzt beweg dich endlich! Du willst doch leben, oder?«
    Marlein nickte.
    »Dann tu genau, was ich dir sage! Und lass mich zuerst reden, verstanden? Nur so kommst du vielleicht davon.«
    *
    Thalia, rechts auf dem Bild platziert, war ihm ausnehmend gut gelungen: die Haltung, das lockige Haar, das bis zu den Hüften fiel, der fragende und zugleich lockende Ausdruck auf dem dreieckigen Gesicht. Ihr Körper war zart und jugendlich. Eine Frau in der frühen Blüte ihrer Jahre, die die rechte Hand auf die Schulter der mittleren Gestalt legen würde, deren Platz noch frei geblieben war. Thalia hatte das linke Bein angezogen und hielt es mit ihrer Linken an der Fessel. Er würde ihr später noch ein goldenes Halsband malen und eine prächtige Gliederkette, die ihre Blöße schmückte, wie sie auch Aglaias Hals bereits zierte, die links auf dem Bild stand – und Margarethas Züge trug.
    Aglaia war Margaretha – und die war brutal ermordet worden.
    Er schaute auf Thalia.
    Und plötzlich hatte Jan nicht mehr die göttliche Zeustochter vor sich, sondern nur noch Dilgin.
    Nebenan hörte er die Lehrlinge und Gesellen lachen und reden, und er fühlte sich ausgeschlossen wie nie zuvor. Welcher Wahnsinn hatte ihn geritten, sich auf dieses Vorhaben einzulassen?
    Er hätte dem Meister eine Abfuhr erteilen müssen, von Anfang an. Dann könnte er jetzt bei Susanna sein, anstatt sich in dieser muffigen Farbenkammer verbarrikadieren zu müssen, wegen eines Gemäldes, das zwar von ihm stammte, bei dem ihm jedoch die Hand bei jedem Pinselstrich schwerer wurde.
    Dann würde Luc noch immer zu ihm aufsehen, der sensible Junge, den er wie einen jüngeren Bruder liebte.
    Dann würde ihn auch kein schlechtes Gewissen plagen, weil er Dilgins Verführungskünsten schließlich doch erle gen war.
    Und er hätte keinen Bertram von Altenstein zum Feind, der mit der Garde des Kurprinzen systematisch die Häuser der Stadt durchsuchte und nicht ruhen würde, bis er aus ihm herausgeprügelt hätte, was er für die Wahrheit hielt.
    Sie würden Dilgin nirgendwo finden.
    Plötzlich war Jan sich ganz sicher, durchdrungen von einem Gefühl, so schwarz und hoffnungslos, dass ihm zum Sterben elend zumute wurde.
    Er sank auf seine Knie, schloss die Augen.
    Und schließlich tat er das, was seine Großmutter ihn bereits in frühesten Kindertagen gelehrt hatte: Jan faltete die Hände und begann zu beten.

ZWÖLF
    Z WÖLF
    E s war ein kurzer Weg, den sie zurückzulegen hatten, und doch kam es Griet vor, als rücke das Ziel bei jedem Schritt immer weiter weg. Hätte sie nicht doch lieber in der Stadtkirche St. Marien um Asyl bitten sollen?
    Nein, das Mädchen brauchte Schutz und Hilfe. Und das würde sie nirgendwo besser bekommen als im Luther- Haus.
    Dennoch überfiel sie lähmende Angst, je näher sie ge langten. Marlein schien es ähnlich zu ergehen, oder sie war noch

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