Die geheime Braut
Holundersaft an, den er mit sichtlichem Vergnügen trank. Sogar Bini hatte es heute nicht ganz so eilig, zum Fluss zu laufen, wohin sie in letzter Zeit mit undeutlich gemurmelten Ausreden so gerne verschwand.
Susanna hatte sich mit dem riesigen Stapel Stopfarbeiten, die die Muhme ihr aufgehalst hatte, auf die alte Holzbank im Garten zurückgezogen. Nicht sonderlich geschickt, was Näharbeiten betraf, die im Kloster stets von Schwester Raffaela erledigt worden waren, quälte sie sich mit Nadel und Faden und stach sich dabei immer in den Zeigefinger, der schon ganz wund und heiß geworden war.
Jan kam mit Hansi und ließ sich neben ihr nieder. Als sei es das Selbstverständlichste der Welt, zog er ein paar leere Blätter heraus sowie seinen Rötelstift.
»Jetzt muss ich Hansi nur noch zum Stillhalten bringen«, sagte er nach einer Weile. »Sonst entstehen leider lediglich fliegende Skizzen.«
Der Kleine spielte mit seinen Holzklötzchen inzwischen in den Beeten, was seiner Mutter sicherlich nicht gefallen hätte, doch solange er nicht an den Pflanzen riss, ließ Susanna ihn gewähren.
Sie rückte ein Stück zur Seite, weil sie die männliche Nähe kaum ertrug. Besonders weit kam sie dabei allerdings nicht, denn die Bank war schmal und kurz. Jans Geruch flog zu ihr: grüne Gräser, ein Hauch von frischem Schweiß und etwas Dunkles, Scharfes, das sie anzog und gleichzeitig noch misstrauischer machte, als sie ohnehin schon war.
Es ist heller Tag, mahnte sie sich selbst. Jeder hier kennt ihn. Ein einziger Laut von dir, und der Garten wäre voller Menschen, die dir zu Hilfe eilen würden.
»Der Alte ist wieder aus Meißen zurück«, sagte Jan nach einer Weile, während auf seinem Blatt die ersten Linien entstanden. Er musste gerade vom Malen kommen und sich nur nachlässig gesäubert haben, denn seine Hände waren noch mit Farbspritzern übersät. »Relin, der Apotheker, hat ihn auf der Reise zum Kurfürsten begleitet. Und dicke neue Aufträge hat er auch mitgebracht, mit denen er sich voller Stolz brüstet. Als ob uns die Arbeit in der Werkstatt nicht ohnehin schon auffressen würde!«
Er ließ den Stift sinken, blinzelte träge gegen die Sonne.
»Ein wenig mehr Schlaf täte uns allen sicherlich gut. Aber dazu ist ja schließlich noch immer Zeit, wenn wir einmal im Sarg liegen – das glaubt zumindest ein Lucas Cranach.«
Wieso erzählte er ihr das alles? Wenn Jan so fahrlässig mit seinen Nächten umging, wie Susanna vermutete, hatte er keinerlei Grund, sich zu beklagen. Oder war damit jetzt Schluss, nachdem der Apotheker wieder zurück in Wittenberg war?
»Die einen fallen Abend für Abend todmüde ins Stroh, so erschöpft sind sie vom Schuften, während andere offenbar noch immer genügend Kraft haben, um Unsinn zu treiben.« Sie erschrak, wie bitter ihre Stimme klang.
Hatte sie sich jetzt verraten?
Susanna stichelte umso emsiger weiter.
Jans Blick ruhte nachdenklich auf ihr.
»Was hab ich dir eigentlich getan«, fragte er, »dass du so giftig zu mir bist? Immerhin hab ich euch beiden ja zu einem neuen Zuhause verholfen, oder etwa nicht?«
Sie starrte auf ihre Flickarbeit.
»Ist es etwa noch immer jene Sache in der Taverne, die dich umtreibt …« Sie wollte ihn unterbrechen, doch er ließ sie nicht zu Wort kommen. »Die ich übrigens mit keinem Wort irgendjemandem gegenüber erwähnt habe. Ich weiß schon eine ganze Weile, dass Menschen Fehler machen. Und auch, dass sie daraus lernen können.«
Was hätte sie darauf entgegnen sollen?
Sie hatte diesem Jan Seman nichts vorzuschreiben. Wohin er ging, sobald der Mond am Himmel stand, war einzig und allein seine Angelegenheit – auch wenn es sie jetzt erst recht beschäftigte, was er wohl mitten in der Nacht im Apothekerhaus zu suchen hatte, während der Hausherr mit Cranach auf Reisen war.
Er drang nicht weiter in sie, sondern griff wieder nach seinem Rötelstift und zeichnete weiter.
Hansi schien von der Sonne und dem Toben müde geworden zu sein. Er rollte sich wie ein Welpe auf der Erde ein, steckte den Daumen in den Mund – und war eingeschlafen.
Jan hatte Susanna offenbar ganz vergessen, so vertieft war er in seine Skizzen, während sie lustlos weiterstopfte. Irgendwann gewann ihre Neugierde doch die Überhand.
Sie lugte nach links.
»Aber das ist ja gar nicht Hansi!«, rief sie. »Du hast heimlich mich gezeichnet.«
»Nun, ganz so heimlich auch wieder nicht«, entgegnete er grinsend. »Ein Maler muss mit dem arbeiten, was ihm vor die Augen
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