Die geheime Braut
erwiderte er. »Sofern es in meiner Macht steht.«
»Und du wirst das Bild wirklich heimlich malen? Ohne die neugierigen Blicke der anderen?«, fuhr sie fort. »Versprich mir das! Sonst kannst du gleich wieder gehen.«
»Das verspreche ich – bei meinem Leben.«
»Gut.« Margaretha klang nicht wirklich überzeugt, aber sie begann das Mieder aufzuschnüren. Das Kleid fiel zu Boden, lag gleich einem blassblauen Schaum zu ihren Füßen.
Darunter war sie splitternackt.
Jan wusste, dass sie es sich jeden Moment anders überlegen konnte, griff zum Stift und ließ ihn über das Blatt sausen. Wie im Fieber arbeitete er, zeichnete ihren Bauch, die kleinen Brüste mit den rosigen Spitzen, die mädchenhaften Hüften, die noch kein Kind getragen hatten. Die Schenkel. Die schmalen Füße. Ihm gefiel durchaus, was er eilig auf seine Blätter bannte, die bald schon einen kleinen Stapel ergaben, doch richtig befriedigend fand er es noch nicht.
»Kannst du dich vielleicht kurz umdrehen?«, bat er nach einer Weile.
»Bin ich dir von vorn etwa nicht schön genug?« Ihre Stimme war höher geworden, ein gefährliches Zeichen, wie Jan inzwischen gelernt hatte.
»Doch, das bist du«, versicherte er. »Aber das Bild, das mir vorschwebt, lebt nun einmal von Gegensätzen. Also sei so gut und dreh dich für mich um!«
Zögernd gehorchte sie.
Die leicht abfallenden Schultern, der lange Rücken, die festen Hinterbacken und diese wohlgeformten Beine! So und nicht anders musste seine Aglaia aussehen!
»Kannst du mir noch eine dicke goldene Kette malen?«, hörte er sie sagen. »Und den beiden anderen auch?«
»Wozu?«, fragte Jan überrascht.
»Nun, hast du nicht gesagt, dass wir Halbgöttinnen sind? Dann steht uns kostbares Geschmeide doch wohl zu. Und einen dünnen Schleier will ich auch um die Hüften haben. Da mit nicht alles sofort zu sehen ist.«
»Ich denke, das ließe sich einrichten«, sagte Jan, der den Rötelstift nicht absetzte. »Ja, bleib so, auf dem rechten Fuß stehend, den linken leicht angehoben!«
Nach einer Weile begann sie zu zittern. Ein dünner Schweiß film schimmerte inzwischen auf ihrem Körper.
»Hör auf!«, flüsterte Margaretha. »Ich kann nicht mehr. Es ist genug. Mehr als genug.«
Jan legte den Stift beiseite. Wie gern hätte er noch weiterskizziert, wenn es nach ihm gegangen wäre, bis zum Morgengrauen. Aber er hatte sich vorgenommen, ihre Wünsche zu respektieren.
»Ich danke dir«, sagte er leise. »Du hast mir eine große Freude bereitet, Margaretha. Schau doch nur – so und nicht anders sieht eine wunderschöne Grazie aus!«
Zu seiner Überraschung hatte sie für die Blätter, die er ihr hinhielt, nur einen eher abwesenden Blick. Auch das Kleid, das neben ihr am Boden lag, schien die junge Frau nicht weiter zu interessieren. Stattdessen hatte sie sich in ein geflicktes Leintuch gehüllt, das sie nachlässig über der Brust zusammenraffte.
»Der eine gibt, der andere nimmt«, sagte sie. Hatte sie heim lich getrunken? Ihre Stimme klang plötzlich rau. »So ist das ganze Leben. Habe ich recht? Und doch muss es immer einen Ausgleich geben, damit die Waage im Gleichklang bleibt, meinst du nicht auch?«
Er nickte.
»Dann ist es jetzt an dir zu geben, Jan Seman«, sagte sie bedeutungsvoll.
Was meinte sie damit?
Plötzlich spürte er, wie durstig er war.
Margaretha schien seine Gedanken zu erraten. Sie reichte ihm einen Becher.
»Trink!«, sagte sie. »Und dann lass uns keine kostbare Zeit mehr vergeuden!« Ihre Augen waren halb zu. Um ihren Mund lag ein entschlossener Zug, den er noch nie zuvor an ihr gesehen hatte.
»Ich denke, ich werde jetzt besser gehen«, sagte er. »Nicht dass uns der Meister und dein Mann noch hier erwischen …«
Sie hatte ihn am Ärmel gepackt und hielt ihn fest.
»Das wirst du noch nicht«, sagte sie. »Nicht, bevor du mir geschenkt hast, wonach ich mich schon seit Jahren verzehre.«
Wovon redete sie?
Jan wurde immer unbehaglicher zumute.
Unvermutet gab sie ihn frei. Gleichzeitig sanken ihre Arme nach unten.
Das Leintuch sank zu Boden.
»Mein Kind«, flüsterte sie. »Schenk mir heute Nacht mein Kind, Jan Seman! Das bist du mir schuldig.«
VIER
V IER
N ach einigen Tagen tauchte Jan wieder im Schwarzen Kloster auf, entspannt und gut gelaunt, als wäre er niemals fort gewesen. Katharina ließ den Löffel sinken und die Suppe stehen, Hansi kam mit ausgebreiteten Ärmchen auf ihn zugestürmt, und Muhme Lene vergaß ihren kranken Rücken und bot ihm
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