Die geheime Braut
keiner entrinnen kann, sobald er darin gefangen ist. Nichts anderes gilt auch für Margaretha und mich.
Wo mag sie wohl sein?
Hält sie sich versteckt, um Relin Angst einzujagen?
Oder ist sie weggelaufen, weil sie seine Grausamkeiten nicht länger ertragen konnte?
Aber wohin? Wer könnte ihr Zuflucht bieten – womöglich ihr Vater?
Dann fiel ihm ein, dass der alte Seifensieder im vergangenen Jahr zu Grabe getragen worden war. Und die Mutter hatte Margaretha, wenn er sich recht erinnerte, schon als Kind verloren.
Seine Stimmung verdüsterte sich.
»Habt Ihr sie gefunden?«, rief er, als Cranach hereinkam.
»Margaretha?« Der Meister schüttelte den Kopf. »Wir hatten sogar die Büttel losgeschickt, um das Ufer abzusuchen. Doch die Dunkelheit hat sie zum Abbruch gezwungen.«
»Dann sollte man als Erstes den alten Apotheker gründlich in die Mangel nehmen«, verlangte Jan.
»Relin? Der ist doch ohnehin schon halb verrückt vor Sorge.« Cranach griff nach einem Hocker. »Wir haben jetzt erst einmal andere Dinge zu besprechen, Seman. Die Arbeit an den Grazien muss vorangehen.«
»Was könnte wichtiger sein als ein Menschenleben?«, rief Jan. »Vielleicht irrt Margaretha verzweifelt irgendwo da draußen herum. Ich habe gesehen, wie übel sie zugerichtet war. Und ich wette, das war niemand anders als ihr eigener Mann.«
»Relin?«, fragte Cranach zweifelnd. »Warum sollte er so etwas tun?«
Jan sah ihn vielsagend an.
»Du hast ihm doch nicht etwa von dem Gemälde erzählt«, sagte Cranach, »auf dem seine nackte Frau zu sehen ist?«
»Natürlich nicht«, fuhr Jan auf. »Aber vielleicht sie selbst? Aus Scham oder später Reue? Margaretha war nicht gerade glücklich über meinen Vorschlag. Ich musste sie überreden. Nur so war sie überhaupt bereit dazu.«
»Hast du sie denn nicht inständig beschworen, dass sie kein Wort darüber verlieren darf – niemandem gegenüber?«
»Mehrmals sogar. Und wenn sie es trotzdem getan hat?«
»Wer kann schon in das Herz der Frauen schauen?«, sagte Cranach nachdenklich. »Und doch wirst du es abermals versuchen müssen, Jan. Das Modell für die zweite Grazie steht fest. Eine schöne, noble Dame.«
»Wer?«
»Dilgin von Thann. Du bist ihr auf dem Fest im Schloss begegnet.«
Jan starrte ihn an wie eine Erscheinung. »Ich soll die Hofdame der Kurprinzessin als nackte Grazie malen?«
»So und nicht anders lautet der Wunsch des Auftraggebers.«
»Dann sagt ihm gefälligst, dass er nicht ganz bei Trost ist!«, schrie Jan. »Niemand auf der ganzen Welt wird diese Frau dazu bringen.«
»Wie kannst du dir da so sicher sein? Du hast es ja noch nicht versucht.«
*
Schließlich saß er doch bei den anderen Gesellen im Bären und trank, weil er nur noch Vergessen suchte. Ambrosius und Paul schienen sich über sein unerwartetes Erscheinen aufrichtig zu freuen und prosteten ihm immer wieder zu, während Simon wortkarg und zurückhaltend blieb.
Jan spürte die Wirkung des Biers bereits in Kopf und Gliedern, aber das war ihm gerade recht.
Kein heimliches Malen bei Kerzenschein.
Kein Überreden einer Frau zu Freizügigkeiten, die sie nicht gewähren wollte.
Keine Versprechungen des Alten, die sich über kurz oder lang doch als unerfüllbar herausstellen würden.
Nichts von alldem wollte er heute noch sehen oder hören.
Er spürte die harte Holzbank unter sich und roch den süßlichen Bieratem der anderen Männer, die wie er immer betrunkener wurden.
Alles auslöschen – selbst wenn morgen der Schädel brummen und die Hand beim Zeichnen unsicher sein würde!
»Vielleicht gehe ich bald weg.« War das wirklich seine eigene Stimme, so schwer und undeutlich? »Hab die Nase gründlich voll von diesem Nest. Ein guter Maler muss die ganze Welt kennen. Und wo war ich denn bislang schon?«
»Dann geh ich mit«, sagte Simon zu Jans Überraschung. »Wären wir zwei nicht ein gutes Duo? Die Werkstätten würden sich um uns reißen, und schon bald hätten wir die Taschen voller Geld. Na, was meinst du?«
»Gute Idee«, nuschelte Jan. »Genau das sollten wir machen …«
Wie sturzbetrunken er war, merkte er draußen beim Wasserabschlagen. Simon, der schwankend ein Stück abseits stand, schien es nicht anders zu gehen. Doch im Gegensatz zu Jan, der nur noch ins Bett wollte, war er voller Unternehmungslust.
»Die Nacht ist noch jung«, sagte er mit schwerer Zunge. »Jetzt sind die Weiber an der Reihe.«
»Keine Weiber.« Jan winkte ab. »Bloß keine Weiber – verschon mich
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