Die geheime Braut
Lippen.
Margaretha duckte sich unter den Regalen und verschwand, allerdings nicht schnell genug.
»Was ist mit Eurer Frau?«, fragte Jan, der seinen Augen kaum trauen mochte. »Schlagt Ihr sie jetzt grün und blau?«
Relin stützte sich schwer auf der Theke auf.
»Ich wüsste nicht, was Euch das anginge«, sagte er mit bedrohlichem Unterton. »Doch um unnützes Gerede zu verhindern: Mein Weib leidet an Sehschwäche. Und ist zudem recht ungeschickt. Sie selbst hat sich so zugerichtet.« Er sah an Jan vorbei. »Womit kann ich Euch dienen?«
Schweigend nahm Jan die Materialien für die Werkstatt entgegen und lud sie draußen mit wachsendem Groll auf seinen Leiterwagen. Er war noch nicht fertig damit, als er innehielt und erneut hineinging.
Der Apotheker war gerade dabei, ein helles Pulver abzuwiegen. Jan kam so heftig angestürmt, dass eine kleine Wolke aufflog.
»Ich mag keine Lügner«, sagte Jan. »Und noch weniger Männer, die sich an Schwächeren vergreifen. Habt Ihr kein anderes Argument als Eure Fäuste?«
»Jetzt habt Ihr mein kostbares Leichenpulver verstreut«, schrie Relin. »Glaubt Ihr vielleicht, der Scharfrichter verschenkt es aus purer Herzensgüte? Jedes Gramm davon muss ich teuer bezahlen. Ich hab schon lange genug von Eurer frechen Visage. Ihr werdet meine Apotheke nicht mehr betreten, verstanden?«
»Eure Apotheke?«, schrie Jan zurück. »Dass ich nicht lache! Alles hier gehört Meister Cranach. Ihr steht doch lediglich in seinen Diensten. Ich werde ihm sagen, wie niederträchtig Ihr mit Eurer Frau umspringt. Und glaubt mir, Relin, das wird ihm ganz und gar nicht gefallen!«
Er stürmte hinaus auf den belebten Platz, auf dem der Wochenmarkt abgehalten wurde. Seine Hände zuckten. Am liebsten hätte er Relin den Hals umgedreht, so wütend war er.
Langsam kam er vor der Apotheke wieder zur Besinnung.
Trug er nicht selbst Schuld am Zerwürfnis der Eheleute?
Er hatte Margaretha gemalt, doch davon konnte Relin nichts wissen.
Oder etwa doch? Schlug er sie deswegen?
Und das andere? Margarethas inständige Bitte, mit der sie ihn zum Bleiben aufgefordert hatte?
Wenn der Apotheker jemals davon erführe …
Jan hatte für einen Moment die Augen geschlossen, als er plötzlich einen heftigen Stoß in die Seite erhielt. Er wollte schon zornig auffahren, als er erkannte, dass der Übeltäter blutjung war.
Und auffallend hübsch dazu.
»Schläfst du am helllichten Tag?«, fragte das Mädchen. »Da wüsste ich freilich Besseres.«
Auf den ersten Blick hätte man sie für eine Handwerkertochter halten können. Doch dazu war ihr rotes Haar zu auffallend frisiert und das Kleid, das sie trug, zu verschlissen.
»Schau doch nicht so blöd!«, fuhr sie fort. »Gib mir lieber ein paar Münzen!« Neugierig lugte sie in seinen Leiterwagen. »Was ist das alles für Zeug? Kann man das essen?«
»Bist du so hungrig?«, fragte Jan. »Womit bringst du dich durch – mit Betteln und Stehlen?«
Jetzt lachte sie laut, als handle es sich um einen guten Scherz.
»Und du?«, fragte sie zurück. »Es gibt solchen und solchen Hunger, und deine Augen sagen mir …«
»Marlein!«, hörte er eine aufgebrachte Frauenstimme rufen. »Da bist du ja! Kannst du nicht hören? Ich hab dir doch ausdrücklich verboten, über den Markt zu laufen!«
Jan kannte die Stimme, und er kannte die Frau – Griet, die schwarze Hurenwirtin vom Elstertor.
»Ja, ich gehöre zu ihr«, flüsterte das Mädchen. »Aber nicht mehr lange, wenn es nach mir geht. Du kannst kommen und mich kaufen, dann machst du mir das Leben leichter. Wirst du kommen? Es lohnt sich. Soll ich es dir beweisen?«
Bevor er etwas antworten konnte, hatte sie die Arme um ihn geschlungen und ihren mageren, heißen Körper an ihn gedrückt. Durch den dünnen Stoff spürte er die winzige Erhebung ihrer Brüste und den festen Hügel der Scham, was ihn erregte.
Sie schien genau zu wissen, was sie wollte.
Zielsicher landete ihr Mund auf seinen Lippen, und während er sie wegschob, bevor sie weitere Spielchen mit ihrer frechen Zunge treiben konnte, sah er in einiger Entfernung zwei Frauen wie angewurzelt vor einem der Marktstände stehen und herüberstarren: Binea und Susanna.
*
Erst in der Kirche wurde Susannas Atem ruhiger.
Die Stille, das Knien, das Beten, all das half, um wieder bei sich selbst anzukommen. Dann jedoch stieg Zorn in ihr hoch.
Welche Macht besaß dieser Jan, um sie in solch einen Zustand zu versetzen?
Hilf mir, heilige Mutter Gottes!, flehte sie
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