Die geheime Braut
gleichzeitig ein guter Mensch.«
»Ich finde Winsheims Vorschlag gar nicht so übel.« Hunzingers großer weißer Kopf bewegte sich zustimmend. »Ein wenig frischer Wind wird uns allen guttun. Eine ansehnliche Portion Erfahrung dazu kann nicht schaden. Und zudem scheint mir Pistor auch die nötige Gelassenheit für solch ein Amt zu besitzen. Ja, ich denke, er könnte der Richtige sein. Und ich glaube, er würde die Wahl sogar annehmen.«
»Schon möglich. Aber dann sollten wir noch mehr Auskünfte über ihn einholen«, verlangte Melanchthon. »Wir wissen so gut wie nichts über ihn …«
Die Tür ging auf. Mit hochrotem Gesicht schoss Relin herein.
»Die geschätzten Herren Professoren mögen mein dreistes Eindringen verzeihen.« Seine Stirn war schweißnass, ebenso wie Hemd und Wams, die an seinem hageren Körper klebten. Er keuchte, rang bei jedem Wort nach Luft. »Aber der Rektor meinte, ich dürfe ausnahmsweise stören.«
»Was gibt es denn, Relin, dass Ihr so aufgeregt seid?«, fragte Luther.
»Ihr müsst mir helfen, bitte!« Jetzt stammelte der Apotheker nur noch, war kaum zu verstehen.
»So beruhigt Euch doch!« Luther wies auf einen freien Stuhl in der Runde, was Relin zu übersehen schien.
»Ich kann nicht mehr«, flüsterte er. »Wie sollte ich mich beruhigen? Überall war ich schon. Die ganze Stadt bin ich vergeblich abgelaufen. Und was habe ich erreicht? Nichts. Gar nichts. Die Leucorea ist meine allerletzte Hoffnung. Hier, bei all den klugen Menschen, da muss mir doch geholfen werden!«
»Ich verstehe kein Wort.« Die Stimme des Reformators verriet aufkeimende Ungeduld.
»Es geht um meine Frau«, sagte Relin japsend. »Margaretha. Mein Augenlicht. Die Freude meiner reifen Jahre. Mein liebes kleines Mädchen …«
»Was ist mit Eurer Frau?«, fragte Melanchthon, den bei diesen Worten unangenehme Erinnerungen überkamen. »Ist sie … krank?«
»Wenn es das nur wäre!« Relins Stimme überschlug sich beinahe. »Nein, viel schlimmer – Margaretha ist spurlos verschwunden! Als ob der Erdboden sich aufgetan und sie verschluckt hätte.«
*
»Begleitest du mich in den Schwarzen Bären ?« Simon Franck kam langsam näher. »Oder gibt es etwa schon wieder Geheimnisvolles mit dem Alten zu besprechen, das keiner von uns hören darf?« Er zog geräuschvoll die Nase hoch. »Du machst dich ganz schön rar, Jan. Als ob du etwas Besseres wärst, nur weil du jetzt sein Stellvertreter bist. Das gefällt mir nicht. Und den anderen Gesellen ebenso wenig. Sogar die Söhne werden langsam sauer.«
»Unsinn!«, widersprach Jan, der sehr wohl auf Cranach wartete und wollte, dass Simon die Werkstatt möglichst schnell verließ. »Wir haben keine Geheimnisse, sondern müssen lediglich die anstehenden Aufträge durchgehen, damit keiner der Kunden unzufrieden wird. Dazu reicht die Zeit tagsüber nicht. Das weißt du ganz genau.«
»Oder gibt es vielleicht eine geheime Braut, zu der es dich allabendlich zieht?« Simon war nicht so einfach abzuschütteln. Jetzt hatte er zu allem Unglück auch noch einen Rest Met in einem Krug entdeckt, den er genüsslich schlürfte. »Ich dachte ja eine ganze Weile, es sei die Apothekerin, mit der du eine heiße Liebschaft pflegst, so inniglich hat sie dich angehimmelt, sobald sie hier auftauchte – und das tat sie für meinen Geschmack reichlich oft. Aber damit ist es nun wohl vorbei.«
»Wie kommst du darauf?«, fragte Jan wachsam.
»Nun, Margaretha Relin ist spurlos verschwunden, und ihr Mann macht die ganze Stadt verrückt.«
»Sie soll verschwunden sein?«
»Behauptet wenigstens der Apotheker. Überall wird inzwischen nach ihr gesucht. Bislang allerdings vergebens.« Der Krug war leer. Simon versetzte Jan einen kleinen Stoß. »Also, kommst du jetzt endlich mit in den Bären ? Wenn es etwas Neues gibt, hörst du es dort garantiert zuerst.«
»Später vielleicht.« Jan legte den Pinsel zur Seite. Dem Ratsherrnporträt fehlte nur noch der Firnis. »Trink einstweilen schon mal einen Humpen für mich mit! Das wird dir ja wohl nicht allzu schwerfallen.«
Simon zog einen Flunsch und ging.
Jan tat es leid, dass er ihn gekränkt hatte. Sie hatten sich gut verstanden, gleich von Anfang an. Eine Zeit lang hatte er sogar geglaubt, Simon und er könnten Freunde werden. Doch seit der Arbeit an den drei Grazien, von der niemand etwas erfahren durfte, hatte sich alles zwischen ihnen verändert.
Eine Lüge zieht unweigerlich die nächste nach sich, dachte Jan. Ein klebriges Netz, dem
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