Die geheime Braut
damit!«
»Das sagst du doch bloß, weil sie dir ohnehin scharenweise nachlaufen. Aber was ist mit mir? Bin ich vielleicht kein feiner Kerl?« Er stützte sich schwer auf ihn.
»Bist du«, bekräftigte Jan. »Und dieser feine Kerl muss jetzt dringend nach Hause.«
Doch Simon dachte nicht daran, ihm zu gehorchen, sondern torkelte in Richtung Elbe.
»Hab gehört, hier soll es nachts die besten Huren geben«, murmelte er, als sie am Ufer angekommen waren. »Manche sagen auch, bei Vollmond würden brünstige Nixen aus der Elbe steigen, um Menschenmänner glücklich zu machen.« Er schaute zum Himmel und begann zu kichern. »Vollmond, siehst du? Darauf warte ich jetzt.«
Simon ließ sich auf die Böschung plumpsen.
Jan versuchte, ihn nach oben zu ziehen, was ihm nicht gelang, denn der andere war in seinem Suff schwer und steif wie ein Brett.
»Du wirst noch in den Fluss fallen und ertrinken«, sagte Jan. »Komm endlich! Hier ist kein einziges Weib weit und breit, weder mit noch ohne Fischschwanz.«
»Das behauptest du nur, weil du wieder einmal alle für dich haben willst.«
»Unsinn. Diese Nixen sollen nicht ungefährlich sein. Hast du noch nie gehört, dass sie ihre Liebsten auf den tiefsten Grund ziehen können?«
Simon schlug nach Jan.
»Darauf fall ich nicht rein. Geh ruhig! Ich erzähl dir dann morgen, wie viele ich gehabt habe …«
Er begann zu schnarchen.
Jan kniff die Augen zusammen und versuchte, sich zu konzentrieren, was ihm äußerst schwerfiel. Simon lag ein ganzes Stück vom Wasser entfernt, das konnte er gerade noch feststellen.
Ihm würde schon nichts passieren.
Aber er musste endlich ins Bett, sonst würde er morgen nicht einen geraden Strich zeichnen können.
Er drehte sich um und wankte zum Cranach-Haus.
*
Etwas packte ihn, rüttelte ihn, wollte ihn nicht mehr los lassen.
Eines dieser Nixenweiber, das Jagd auf Menschen machte?
Der Atem, der ihm entgegenströmte, roch schal, als ob sie sich seit Jahrhunderten in Schlick und Moder gesuhlt hätte.
»Wach auf, Jan! Du musst aufwachen!«
Seine Lider waren zugeklebt. Es erschien ihm eine halbe Ewigkeit, bis er sie einen winzigen Spalt aufbekam, doch das Rütteln hörte nicht auf.
Fahles Morgenlicht schien in seine Kammer.
Neben der Bettstatt kniete Simon, das Feuerhaar zerrupft, das Gesicht verfallen.
»Es ist genau so, wie du gesagt hast«, flüsterte er. »Nur viel, viel schlimmer!«
Nie zuvor hatte Jan ihn so verzweifelt gesehen.
Er versuchte sich aufzusetzen und biss sich dabei auf die Lippen, weil sein Schädel so dröhnte.
»Was ist geschehen?«, fragte Jan.
»Ich bin irgendwann aufgewacht, da wurde es langsam hell. Und du warst verschwunden …«
»Du warst nicht mehr ansprechbar. Da bin ich schließlich gegangen.«
Simon schien ihn gar nicht zu hören.
»Ich bin zum Fluss, um mich zu waschen und wieder einen klaren Kopf zu kriegen. Zuerst hab ich nur das Haar gesehen. Wie rötliche Schlingpflanzen hat es sich im Wasser bewegt. Immer nur hin und her.«
»Welches Haar?«
»Ihr Haar.« Simon starrte ihn an. »Denn dort lag sie …«
»Welche sie?«, fragte Jan bang, obwohl er die Antwort bereits ahnte.
»Margaretha Relin«, sagte Simon. »Mausetot. Mit einem dicken Strick um den Hals.«
ZWEITES BUCH: THALIA
Z WEITES B UCH
THALIA
SECHS
S ECHS
B üttel hatten Margarethas Leichnam in die Leucorea ge bracht und dort in dem länglichen Saal aufgebahrt, in dem Ott Winsheim für gewöhnlich seine Anatomievorlesungen abhielt. Während es sonst lärmend dabei zuging, wenn die Leichen Hingerichteter vor großem Publikum seziert wurden, war es heute auffallend ruhig.
Neben Cranach, der am Kopfende stand, war nahezu der gesamte Lehrkörper anwesend, den man wegen des grausigen Fundes in aller Früh jäh aus dem Schlaf getrommelt hatte. Lediglich Rektor Gunckel fehlte. Ein akuter Anfall von Fallsucht fesselte ihn ans Bett, was einige der anwesenden Professoren mit hochgezogenen Brauen kommentierten. Scharfrichter Schiffer, den man dazugebeten hatte, ergänzte die Runde. Bleich und erschüttert standen die Männer um die provisorische Bahre und tauschten sich im Flüsterton mit dem nächsten Nachbarn aus.
»Ihr seid bereit?« Professor Winsheim zog das Leintuch weg, das die Leiche bedeckt hatte.
Wie klein sie aussah, wie schutzlos – und wie jung!
Das weiße Kleid war steif und grünlich vor Schlick, die Haut an Armen und Beinen kaum weniger hell als der dünne Stoff, der der Länge nach aufgeschnitten war und die
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