Die geheime Braut
Sehnen, einen Abgrund, den nichts und niemand zu füllen vermag. Solche Frauen haben sich verkauft, oft blutjung – für ein Haus, den Traum eines glücklichen Lebens oder eine Ehe, die sich schon bald als unerträg lich erweist. Dann sind sie enttäuscht, müde oder voller Angst. Solche Frauen klammern sich an den letzten Strohhalm. So war es auch bei Margaretha.«
»Sie hat sich dir offenbart?«
Barbara nickte.
»Margaretha glaubte, wenn sie schwanger wäre, würde alles besser werden. Aber Kinder können nichts heilen, was bereits verrottet ist – ganz im Gegenteil. Das habe ich oft genug gesehen.«
»Sie war schwanger?« Cranach starrte seine Frau an.
Sie zuckte die Schultern.
»Bis das Kind sich zum ersten Mal im Mutterleib bewegt, gibt es keine Gewissheit, das habe ich selbst sechsmal erlebt. Und selbst dann kann noch immer alles anders kommen – wie unser totes Frühgeborenes uns schmerzlich gezeigt hat. Aber Margaretha glaubte fest daran, erstmals seit ihrer Hochzeit. Das hat sie mir unter Tränen gestanden. Was, meinst du, hat sie so sicher gemacht? Und warum musste sie dabei weinen?«
»Doch nicht etwa ein anderer Mann …«
»Das hast du gesagt.« Sie warf den aschblonden Zopf zurück, den sie allabendlich flocht, bevor sie sich zum Schlafen legte. An manchen Abenden allerdings ließ Barbara ihr Haar offen, weil sie wusste, wie gern ihr Mann sich darin verlor, Abende voller Hingabe und Lust, an denen so manches in Vergessenheit geriet, was die Eheleute Cranach tagsüber entzweit hatte …
Welch kluges Weib er gefreit hatte! Keine andere hätte er an seiner Seite haben wollen, auch wenn die Leute sich manchmal darüber mokierten, dass sie auf keinem seiner Gemälde zu sehen war.
Wie blind sie doch waren! Wer Augen hatte und ein Herz dazu, der musste doch erkennen, dass in jeder seiner Frauengestalten etwas von Barbara steckte. Alles Weibliche, das er jemals gemalt hatte und weiterhin malen würde, floss zusammen in der einen, die jetzt neben ihm lag – und die er mit niemandem auf der Welt teilen mochte.
»Was soll ich tun?«, fragte er.
»Gib diesen undankbaren Auftrag zurück! Sag dem Rat, dass du ihn nicht weiter ausführen kannst. Die Werkstatt verlangt nach dir, deine Kinder brauchen ihren Vater wie ich meinen Mann, und der Landesherr wird langsam ungeduldig: So viele Werke, die noch gemalt werden wollen, warten auf dich.«
»Das kann ich nicht. Noch nicht.«
Ihre Lider begannen leicht zu flattern.
»Dann schaff endlich Fakten, sonst geht die Stadt zu grunde!«, forderte sie.
»Aber das versuche ich doch schon die ganze Zeit!«
»Dann stell dir das vor: Relin als Hahnrei? Glaubst du, er hätte das einfach so hingenommen?«
»Ich habe ihn eingehend verhört …«
»Sperrt ihn ein! Setzt ihn unter Druck! Er wird einknicken und gestehen. Wittenberg braucht endlich wieder seinen Frieden, Lucas!«
Er umschlang sie, weil so richtig klang, was sie gesagt hatte, und bedeckte ihren Mund mit stürmischen Küssen. Barbara erwiderte seine Liebkosungen, und ihr Körper wurde weich. Er streichelte ihre Brüste, sog den Duft ein und schmeckte den leicht salzigen Geruch ihrer Haut. Barbaras Gesicht war schmal und ernst. Im Morgengrau schimmerte ihre Haut wie kostbares Perlmutt.
Sie nahm ihn auf und bewegte sich unter ihm in einem Rhythmus, den sie beide schon so oft genossen hatten und noch immer erregend fanden, bis er schließlich aufschrie und dann auf ihr zusammensackte.
Sie gönnte ihm den kurzen Schlaf, der darauf folgte, auch das kannte sie an ihm wie so vieles andere. Nach einer Weile begann sie seinen Arm zu streicheln.
Verschlafen wie ein Kind öffnete er die Augen und lächelte, als er erkannte, wo er war – und bei wem.
»Es wird Zeit, Lucas«, sagte sie zärtlich. »Steh auf! Und walte deines Amtes!«
*
Alles, was sie in den Mund steckte, schmeckte nur noch nach Seife. Und selbst der strahlendste Sommertag konnte Bini nicht mehr glücklich machen.
Wieso hatte sie den Raben gezwungen, über die Tote zu reden?
Seitdem erschien ihr der Himmel bleiern, und bleischwer war auch ihr Herz.
»Ich habe sie nicht berührt«, hatte er gesagt, während sich das Licht auf seiner schwarzen Maskenhälfte brach. »Und doch bin ich schuld am Tod eines Menschen.«
»Das reicht mir nicht«, hatte sie geantwortet. »Wenn du dich innerlich reinwaschen willst, musst du alles gestehen.«
»Das kann ich nicht.« Mit ihrem Körper hatte sie gespürt, wie seiner zusammenzusacken drohte. »Ich
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