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Die geheime Braut

Die geheime Braut

Titel: Die geheime Braut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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sich über den Brief und studierte ihn. »Das ist Relins Handschrift«, sagte er schließlich. »Unverkennbar. Diese tiefen Schlingen beim g und die spitzen Höhen beim k. Selten hab ich eine markantere Handschrift gesehen.«
    »Er hat sich also selbst gerichtet und auch noch einen Abschiedsbrief hinterlassen«, sagte Jan. »So einfach hat er es Euch gemacht!«
    »Was willst du damit sagen?« Cranach fuhr zu Jan herum.
    »Das ist glatt, verehrter Meister. Fast zu glatt für meinen Geschmack.«
    »Schneid ihn lieber ab!«, forderte Cranach. »Anstatt lang herumzureden. Und bedeck sein Gesicht! Ich will die hässliche Fratze nicht länger sehen.«
    »Ich bin kein Henkersknecht.«
    »Soll ich es vielleicht tun? Steig auf den Hocker und schneid ihn endlich ab, sonst mach ich dir Beine!«
    Jan zögerte, dann fügte er sich schließlich und kam der Aufforderung nach. Doch seine Arme waren zu kurz, um den Haken über dem Erhängten zu erreichen.
    Er stieß einen Pfiff aus.
    »Hast du jetzt völlig den Verstand verloren?«, polterte Cranach.
    »Ganz im Gegenteil«, erwiderte Jan. »Und wenn Ihr Eure Augen richtig aufmacht, werdet Ihr ebenfalls sehen, was ich sehe.«
    Zum zweiten Mal streckte er die Arme aus. Zwischen seinen Händen und dem Haken blieb ein erheblicher Abstand.
    »Du bist zu weit entfernt, na und? Dann rück den Hocker einfach näher und tu, was ich dir gesagt habe!«
    »Und wie genau soll Relin sich erhängt haben?«, fragte Jan. »Seine Arme sind ein ganzes Stück kürzer als meine. Auf dem Hocker stehend, konnte er nicht an den Haken gelangen. Also konnte er auch nicht den Hocker umstoßen, um sich in den Tod zu stürzen, zumal der jetzt auf seinen drei Beinen sicher vor uns steht. Es sei denn …« Er schwieg.
    Cranach starrte ihn an.
    »… er war nicht allein, als er starb. Nichts anderes willst du doch sagen«, murmelte er. »Aber das hieße ja, dass Relin …«
    »Jemand anders muss es getan haben«, sagte Jan. »Relin hat sich nicht selbst durch den Strick gerichtet. Er wurde aufgehängt – von seinem Mörder.«
    *
    Es ging heftig her unter den Professoren der Leucorea, und das lag nicht allein am schwülen Wetter, welches nach Gewitter roch. Melanchthon hatte die Kollegen zusammengetrommelt, doch zu seinem Missvergnügen waren nur einige von ihnen erschienen.
    »Wir brauchen endlich eine Entscheidung«, verlangte er, als einigermaßen Ruhe eingetreten war. »Sollen wir nun Pistor, der so wie einige Herren Collega fehlt, als Kandidaten aufstellen – oder doch lieber nicht?«
    »Ich bin nach wie vor dafür«, sagte Hunzinger mit fester Stimme. »Sein Ruf ist gut, er besitzt Verstand und vermag in seinen Vorlesungen die Studenten zu fesseln. Latein und vor allem das hervorragende Griechisch, das er unterrichtet, sind nun einmal die besten Grundlagen für jede andere Fachrichtung. Meine Stimme bekommt er.«
    »Habt Ihr Euch da nicht etwas zu sehr von Lammfleisch und Pastete blenden lassen?«, wandte Block ein. »Ich kann die Sülze in Euren Augen ja geradezu glänzen sehen. Was mich betrifft, so bin ich skeptisch. Äußerst skeptisch sogar.«
    »Dem schließe ich mich an.« Schöneberg nickte erregt. »Er kennt seine antiken Philosophen ebenso gut wie die Kirchenväter, das mag durchaus der Fall sein. Aber setzen wir uns mit diesem Pistor nicht unweigerlich eine papistische Laus ins Fell, die wir so schnell nicht wieder loswerden? Noch lebt Gunckel und kann, wenngleich auch eingeschränkt, weiterhin fungieren. Lasst uns weiter überlegen! In aller Ruhe. Wir werden den Richtigen schon noch finden.«
    Luther, sonst einer der Wortgewaltigsten, war bislang auffallend still geblieben.
    »Martin!« Melanchthon stieß ihn in die Rippen. »Träumst du? Wir warten alle gespannt auf deine Meinung.«
    »Man soll keinen Menschen vorschnell verurteilen«, sagte der Reformator. »So habe ich es bisher stets gehalten und bin gut damit gefahren. Was wir allerdings bei Pistor entdeckt haben – ich rede von diesem abergläubischen Knöchelchenzeug …«
    Die Tür ging auf. Titus Pistor betrat den Saal.
    »Die werten Herren Collega!«, sagte er. »Und alle so eifrig beisammen.« Sein Blick glitt über die betroffenen Gesichter. »Ihr habt doch nicht etwa gerade über mich gesprochen, weil Ihr alle auf einmal so klamm geworden seid? Soll ich mich lieber wieder verziehen?«
    »Keineswegs«, murmelte Anatom Winsheim. »So bleibt doch, ich bitte Euch! Ja, wir sprachen in der Tat gerade über Euch. Der Besuch in Eurem Haus

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