Die geheime Braut
Gespräch noch munter dahin, schließlich ergriff mehr und mehr satte Zufriedenheit die Runde.
»Ihr mästet uns, Pistor!« Schöneberg lehnte sich zufrieden zurück, während Winsheim nach einem weiteren Hühnerschlegel angelte und ihn gierig abzunagen begann. »Was habt Ihr mit uns vor? Uns so lange reich zu bewirten, bis wir alle reif zum Schlachten sind?«
Einige lachten, Luther war ernst geblieben.
»Essen und Trinken halten Leib und Seele zusammen«, sagte er. »Doch nur im rechten Maß. Das gilt übrigens auch für die menschlichen Triebe, die Gott uns geschenkt hat. In der Ehe können sie gelebt und genossen werden.« Er griff nach seinem Becher und leerte ihn. »Eure Bedienerin vermag aufs Köstlichste zu kochen und zu brutzeln, aber es sind keine Speisen, die zu einem braven Bürgerhaushalt passen. Ihr solltet heiraten, Pistor! Bringt Ordnung in Euer Leben! Ein angetrautes Weib an Eurer Seite würde Euch lehren, in allen Dingen im Lot zu leben – und übrigens auch einem künftigen Rektor der Leucorea gut zu Gesicht stehen.«
»Jetzt fängst du schon wieder damit an, Martin!« Melanch thon verdrehte die Augen. »Hast du nicht gesehen, wohin das führen kann? Was mich betrifft, so ist die Ehe keines wegs das Paradies, das du mir ausgemalt hast – ganz im Gegenteil.«
Er hob seinen Becher und prostete dem Gastgeber zu.
»Lasst Euch nicht von ihm verführen«, sagte er zu Pistor. »Denn diese Kunst beherrscht mein Freund Luther wie kaum ein anderer: Menschen mit Worten trunken zu machen.«
Pistor prostete zurück.
»Keine Angst, Collega Melanchthon«, sagte er. »Ich weiß schon lange, dass ich zur Ehe nicht tauge, und habe mich deshalb für ein Leben entschlossen, das ganz meinen Neigungen entspricht. Die Wissenschaft, meine Herren! Sammeln, betrachten, forschen und lehren – darauf lasst uns trinken!«
Luther verzog das Gesicht, hielt sich aber zurück, während die anderen Pistor zustimmten.
Melanchthon war aufgestanden, weil ihn plötzlich ein heftiges Bedürfnis plagte. Er ließ die Tafel hinter sich und torkelte, nicht mehr ganz sicher auf den Beinen, in den dunklen Flur hinaus.
Hinter einer der Türen musste der Abtritt sein.
Pistor hatte ihnen denselben vorhin im Vorbeigehen gezeigt, doch Melanchthons Kopf war zu weinumnebelt, als dass er sich daran erinnerte. Er hatte weit über sein übliches Maß getrunken, das bekam ihm nicht. Und nun rebellierten auch noch Magen und Darm gegen die ungewohnt üppige Kost.
Auf gut Glück drückte er verschiedene Klinken hinunter, wobei ihm immer übler wurde. Der Boden schien ihn nicht mehr zu tragen. Mit einem Seufzer suchte er Halt an der Wand, die sich zu seinem Erschrecken plötzlich bewegte.
Er verlor das Gleichgewicht und plumpste rücklings auf eine große Holzkiste. Dabei entfuhr ihm ein heftiger Schreckenslaut.
Die anderen nebenan sprangen auf, griffen zu den Leuchtern und eilten herbei, angeführt von Pistor, der sich über ihn beugte.
»Habt Ihr Euch verletzt?«
Melanchthon rappelte sich mühselig hoch. Der Deckel der Kiste kam ins Rutschen und fiel scheppernd zu Boden.
»Aber was macht Ihr denn da?« Aus Pistors Stimme war jegliche Freundlichkeit verschwunden.
»Sieh einer an!« Schöneberg hatte sich neugierig über die Kiste gebeugt und zog einen blutroten Rosenkranz heraus.
»Und was ist das hier?« Luther hielt auf einmal ein Bündel Gedrucktes in Händen. »Das sind ja Ablassbriefe!«
»Man muss die Argumente des Feindes kennen, um ihn besiegen zu können«, erwiderte Pistor äußerlich ruhig, doch seine Lippen waren schmal geworden. »Ich denke, Ihr wisst, wovon ich rede, Collega Luther.«
»So gut, dass Ihr Euch sogar solcher Widerlichkeiten annehmt?« Anatom Winsheim hob ein Glasgefäß aus der Kiste, in dem eine knöcherne Hand lag. »Treibt Ihr insgeheim anatomische Studien?«
»Man nennt das Reliquie«, sagte Pistor. »Und Katholiken glauben seit Jahrhunderten an die Wunderkraft solcher Gebeine. Vielerorts werden sie in diesen Tagen regelrecht verschleudert. Da sollte man achtsam sein, dass sie nicht in falsche Hände geraten. Mir hat man vor einiger Zeit eine ganze Sammlung angeboten. Und ich habe sie erworben – um sie aus dem Verkehr zu ziehen.«
»Ihr hängt diesem Aberglauben an?« Luther klang scharf.
»Ich sammle, sehe und besitze. Nicht mehr und nicht weniger«, erwiderte Pistor. »Und jetzt lasst uns zur Tafel zurückkehren! Dort wartet noch eine süße Käsetorte auf Euch.«
Bald darauf brachen die
Weitere Kostenlose Bücher